100% Erneuerbare Energien in Deutschland sogar bis 2030 möglich

Energy Watch-Untersuchung simuliert Strom- und Wärmeversorgung

„Binnen neun Jahren kann Deutschland seine Strom- und seine Wärmeerzeugung vollständig auf Erneuerbare Energien umstellen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie – die allerdings viele Unsicherheiten auflistet“, so der SPIEGEL. Die aktuelle Untersuchung der Energy Watch Group (EWG) zeigt, dass Deutschland bereits bis 2030 vollständig, zuverlässig und wirtschaftlich mit Energie versorgt werden kann und dabei sogar über ein ökonomisch vorteilhafteres Energiesystem verfügt.

Windenergie in Hessen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die Studie stellt das erste umfassende Energie-Szenario vor, das Deutschlands Weg zu 100 % Erneuerbaren Energien bis 2030 sektorübergreifend, technologisch und ökonomisch umsetzbar und mit vollständiger Bedarfsdeckung auch in winterlichen Dunkelflauten stundengenau gewährleistet. Damit wäre Deutschland im Innovationswettbewerb um die Klimaneutralität als erstes Industrieland weltweit führend, noch vor den USA und China.

„Wir können uns angesichts des Klimanotstandes nicht aussuchen, ob wir handeln wollen oder nicht“, sagt Thure Traber, Leitautor der Studie. „Es sind insbesondere regulatorische, politische und infrastrukturelle Hindernisse, die den zügigen Aufbau eines emissionsfreien Energiesystems in Deutschland verhindern. Eine schnelle strukturpolitische Beseitigung dieser Hemmnisse würde den sofortigen Beginn der energetischen Umstrukturierung ermöglichen.“

Nord-Süd-Szenarien

Die Studie untersucht die Nutzung aller Formen Erneuerbarer Energien. Für Deutschland bieten Windkraft und Photovoltaik (PV) die quantitativ wichtigsten Potentiale der Erneuerbaren. Nach aktuellem Stand ist der Ausbau der Windkraft im Süden Deutschlands, strukturell bedingt, fast vollständig zum Erliegen gekommen. Daher muss Strom aus Windkraft von der Nordsee und aus dem Norden Deutschlands mittels teurer und energetisch intensiver langer Überlandleitungen nach Süddeutschland transportiert werden.

Als Lösung weist die EWG-Studie quantifiziert nach: Die Investitionen in den Jahren bis 2030 in PV, Windkraft, Bioenergien, Geothermie und Wasserkraft sowie in Speicher, Wärmepumpen im Wärmesektor und Elektrische Antriebe im Verkehr, sowie vieler weiterer Technologien müssen und können massiv ausgebaut werden. Wesentlich ist ein dezentraler Ausbau aller Technologien, insbesondere auch der Windkraft in den südlichen Bundesländern. Damit kann ein weiterer sehr teurer, langwieriger Ausbau von hohen Leitungskapazitäten von Nord nach Süd vermieden werden.

Die heutigen jährlichen Ausbauraten müssen dafür zum Teil um das bis zu 20-fache erhöht werden. Das erscheint als immens, ist aber durchaus machbar. Hans-Josef Fell, Präsident der EWG, weist auf den Man-to-the-Moon-Charakter der unausweichlich notwendigen Transformation hin: „Solche exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten ähneln denen, wie sie in bisherigen Technik-Revolutionen der Weltgeschichte oftmals in nur einer Dekade realisiert wurden: Mondlandung, PC, Internet und Mobilfunk.“

Investitionen und Innovationen

Mit rund einem Prozent der Weltbevölkerung stellt Deutschland die global viertstärkste Wirtschaftsnation dar. Es sind Investitionen und der direkte Wissenstransfer aus der Forschung in Gesellschaft und Wirtschaft, auf denen unser Wohlstand beruht. Durch die politische Vernachlässigung der Erneuerbaren Energie im letzten Jahrzehnt verschwanden nach der im vorletzten Jahrzehnt errungenen globalen Technologieführerschaft in der Windkraft rund 40.000 Arbeitsplätze, die Photovoltaikproduktion zog nach China um und baute in Deutschland 100.000 Stellen ab. Die aktuelle Eröffnung der europaweit größten Produktionsstätte für Solartechnologie in Bitterfeld zeigt aber, dass auch die Unternehmen die Unausweichlichkeit und das wirtschaftliche Potential eines neuen Energiesystems verstanden haben.

SPIEGEL: „Aber Fell räumt ein, eine Hundertprozentquote bis 2030 sei nur mit einem gigantischen, 20-fach erhöhten Ausbautempo der erneuerbaren Energien zu erreichen. Eine solch schnelle Transformation hat es in der Weltgeschichte bislang nur selten gegeben, etwa bei der Einführung von Internet und Mobilfunk. Allerdings sei der Umbau des Energiesystems die »wesentliche und unverzichtbare Notbremse«, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, so Fell. Insgesamt ist das Papier der Energy Watch Group eine Abschätzung der Optionen mit einigen Unsicherheiten. Es zeigt aber, dass eine schnelle Energiewende grundsätzlich technisch möglich ist – zumindest wenn alle Rahmenbedingungen stimmen.“

Deutschland als Industrienation hat mit einem gestalteten Zusammenspiel von Machbarkeit, technologischer Weiterentwicklung, verbesserter Effizienz und wachsender Bereitschaft in Wirtschaft und Gesellschaft das Potential, zum führenden Industrieland mit UN-SDG-Standards zu werden, das ist die Aussage der EWG-Studie.

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