Auswirkungen des Ukrainekriegs auf Energiepreise und Versorgungssicherheit

Impulspapier von ESYS: Erneuerbare Energien mit hoher Priorität ausbauen

Die Energieversorgung in Deutschland und Europa steht vor einer Zeitenwende. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie gefährlich Abhängigkeiten von einzelnen Importländern für die Versorgungssicherheit sind – vor allem dann, wenn sie weder demokratisch noch rechtsstaatlich verfasst sind. Eine am 14.07.2022 vorgestellte ESYS-Untersuchung.

Auswirkungen des Ukrainekriegs – Titel © acatech

Europa kann in wenigen Jahren unabhängig werden von russischen Energieimporten. Das zeigt das Impulspapier des Akademienprojekts ESYS „Welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Energiepreise und Versorgungssicherheit in Europa?“ . Hierfür gibt es drei Voraussetzungen: verstärkter Ausbau von Infrastrukturen für den Gastransport, Reduzierung des Erdgasverbrauchs sowie eine gut abgestimmte und enge europäische Zusammenarbeit. Doch bis es so weit ist, drohen Versorgungsengpässe. Die Analysen zeigen zudem, dass die Preise für Verbraucher und Industrie längerfristig hoch bleiben könnten. Die Politik steht vor der großen Herausforderung, Bezahlbarkeit, Klimaschutz und Versorgungssicherheit zu vereinen.

Ein Ende der russischen Energieimporte würde Deutschland und die EU vor sehr große Herausforderungen stellen. In dem Impulspapier untersuchen die Experten des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) die Folgen eines vollständigen oder Teilwegfalls russischer Energielieferungen nach Europa.

  • Entfallen die russischen Erdgasimporte in den nächsten Monaten, könnten zu Hochlastzeiten im Winter in Europa etwa 25 % des Erdgasbedarfs, bezogen auf 2021, nicht gedeckt werden.
  • Das Defizit ist durch fehlende Transportinfrastrukturen wie Leitungskapazitäten und LNG-Terminals bedingt. Diese Versorgungslücke kann bis 2025 geschlossen werden, wenn der Erdgasverbrauch europaweit um 20 % sinkt und gleichzeitig die Infrastrukturen ausgebaut werden.
  • Die Energiepreise in Europa werden voraussichtlich auch mittel- und langfristig hoch bleiben.
  • Dies wird eine sozial ausgewogene Gestaltung der Energieversorgung und Maßnahmen zum Schutz der industriellen Wettbewerbsfähigkeit erfordern.
  • Das Aufrechterhalten der Versorgungssicherheit in Europa erfordert eine gesamteuropäische Strategie zum Ausbau und Betrieb der Gasinfrastrukturen, die durch eine gemeinsame europäische Einkaufspolitik für Erdgas ergänzt werden sollte.
  • Neben einer Erhöhung der Energieeffizienz sollte der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien mit hoher Priorität angegangen werden. Beides wirkt sich auch dämpfend auf die Entwicklung der Energiepreise aus.

Die Fachleute diskutieren außerdem, ob und wie die Versorgungssicherheit ohne russische Energieimporte sichergestellt werden kann und welche Schlussfolgerungen für die deutsche und europäische Energiepolitik daraus resultieren. Das Papier basiert auf zwei von ESYS in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Gutachten.

Wesentliche Erkenntnisse der Untersuchungen sind:

  • Bedarf an Erdgas wird kurzfristig nicht vollständig zu decken sein: Entfallen die russischen Erdgasimporte in den nächsten Monaten, könnten zu Hochlastzeiten im Winter in Deutschland bis zu 30 % und in Europa bis zu 25 % des Erdgasbedarfs nicht gedeckt werden, bezogen auf den Verbrauch aus dem Jahr 2021. Das Defizit ist durch fehlende Transportkapazitäten bedingt. Selbst bei ausreichender Verfügbarkeit von Erdgas fehlen LNG-Terminals und Pipelines, um das Gas in Europa anzulanden und zu verteilen.
  • Auf- und Umbau der Infrastrukturen erforderlich: Die europäische Gasinfrastruktur, sowohl LNG-Terminals als auch Pipelines, sollte zügig aus- und umgebaut werden. Eine kurzfristig umsetzbare Maßnahme mit großem Effekt ist der Umbau von Verdichterstationen, um eine Flussumkehr in den Pipelines („Reverse-Flow“) zu ermöglichen. LNG-Terminals sind notwendig, um zusätzliche Gasmengen in Europa anlanden zu können und ermöglichen zudem eine Diversifizierung des Erdgasbezugs.
  • Senkung des Energieverbrauchs unabdingbar: Nur durch eine Senkung des Verbrauchs kann Europa unabhängig werden von russischem Erdgas. In den kommenden Jahren sollte durch Energieeffizienz- (bspw. Gebäudedämmung) und Substitutionsmaßnahmen (bspw. Einsatz elektrischer Wärmepumpen) der Erdgasverbrauch in Gebäuden und Industrie gesenkt werden. Im Stromsektor könnte die Kohleverstromung auch mittelfristig von Bedeutung sein, um Erdgas einzusparen. Der EU-ETS sorgt dafür, dass die Emissionen in der Stromerzeugung europaweit begrenzt bleiben.
  • Ausbau erneuerbarer Energien ist entscheidend: Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht nur Grundvoraussetzung für eine Unabhängigkeit von russischen Energieimporten. Er wirkt sich auch dämpfend auf die Entwicklung der Energiepreise aus. Für den Ausbau sind jedoch erhebliche Investitionen aufzubringen. Dies wird umso herausfordernder, da die Volkswirtschaft durch steigende Energiepreise belastet wird.
  • Energiepreise könnten dauerhaft über dem Niveau von 2020 bleiben: Die Energiepreise in Europa werden voraussichtlich auch mittel- und langfristig hoch bleiben. Dies wird eine sozial ausgewogene Gestaltung der Energieversorgung und Maßnahmen zum Schutz der industriellen Wettbewerbsfähigkeit erfordern. Insbesondere kurzfristig ist zu prüfen, wie Betriebsschließungen vermieden werden können. Wichtig ist zudem eine gemeinsame europäische Einkaufspolitik für Erdgas, um einen innereuropäischen Wettbewerb zu vermeiden.
  • Enge europäische Zusammenarbeit notwendig: Eine gesamteuropäische Strategie zum Ausbau und Betrieb der Gasinfrastrukturen ist notwendig, um die Versorgungssicherheit in Europa aufrecht zu erhalten. Deutschland ist stark auf Importe aus anderen europäischen Ländern angewiesen und spielt gleichzeitig als wichtiges Transitland sowie aufgrund der größten Speicherkapazitäten eine große Rolle für die gesamteuropäische Gasversorgung.

Als Basis der Publikation dienen zwei Gutachten, die im Auftrag von ESYS angefertigt wurden. Das Gutachten „Szenarien für die Preisentwicklung von Energieträgern“ wurde vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) erstellt und betrachtet verschiedene Szenarien zur Entwicklung der Energiepreise in mittelfristiger Perspektive. Ein Konsortium aus Fraunhofer IEG (Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG), Fraunhofer SCAI (Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI) und der Technischen Universität Berlin widmet sich der Frage, ob und wie die Versorgungssicherheit mit Erdgas in Europa durch einen Umbau von Transportinfrastrukturen wie Pipelines, Verdichter und LNG-Terminals sichergestellt werden kann, falls Importe aus Russland wegfallen. Das Gutachten ist unter dem Titel „Europäische Gasversorgungssicherheit aus technischer und wirtschaftlicher Perspektive vor dem Hintergrund unterbrochener Versorgung aus Russland“ erschienen.

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