Erneuter Wald-Warnruf

Europas Wälder zunehmend im Stress

Die europäischen Wälder werden zunehmend durch natürliche Störungen beeinträchtigt, wie eine neue Beobachtungsstudie zeigt – und der Klimawandel verstärkt dies wahrscheinlich. Ein internationales Team von Forstwissenschaftlerinnen und Forstwissenschaftlern der Wageningen University & Research (WUR), des Europäischen Forstinstituts (EFI), des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und 18 weiterer Forschungseinrichtungen aus ganz Europa untersuchte Schäden in Europas Wäldern und fand heraus, dass diese durch Störungen wie Wind, Feuer, Borkenkäfer und andere Einwirkungen von 1950 bis 2019 statistisch signifikant zugenommen haben. Das Untersuchungsergebnis wurde am 12.12.2022 open access in Global Change Biology publiziert.

Fichtenwald in der Mark – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Dazu Mats Mahnken, PIK-Forscher und Mitautor der Studie: „Die Zunahme der Schäden zeigt, dass mehr Wälder ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen verlieren – mit anderen Worten, sie sind immer schlechter angepasst. Diese Zunahme der Schäden ist sowohl auf die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen der Störungen als auch auf frühere Schäden an schlecht angepassten Wäldern zurückzuführen. Störungen sind natürliche Treiber der Walddynamik, und ein anpassungsfähiges Management kann die Widerstandsfähigkeit der Wälder stärken.“

Natürliche Störungen sind wichtige Triebkräfte für die Entwicklung von Waldökosystemen. Durch das Absterben von Bäumen verändern Störungen die Umwelt und schaffen Platz für das Wachstum neuer, junger Bäume, was letztlich die Regeneration der Wälder im Laufe der Zeit sicherstellt, während tote Bäume eine Vielzahl von Lebensräumen für die biologische Vielfalt beherbergen. Die in den letzten Jahrzehnten beobachtete Intensivierung der Störungen gibt jedoch Anlass zur Sorge, dass die Bereitstellung von Ökosystemleistungen, die unsere Wälder für die Gesellschaft erbringen, gestört werden könnte – so die Medienmitteilung vom 12.12.2022 der Universität von Wageningen.

Auswirkungen von Waldstörungen

Wenn Wälder stark gestört werden, geben sie Kohlenstoffemissionen in die Atmosphäre ab, anstatt den Kohlenstoff zu speichern. Die außerplanmäßige Ernte von geschädigtem Holz führt häufig zu einem Zusammenbruch der Marktpreise und schränkt somit das künftige Ressourcenangebot für die europäische Bioökonomie ein. Darüber hinaus können die Zerstörung von Lebensräumen und die Verringerung der Kohlenstoffsenken in Wäldern das Erreichen der europäischen Klima- und Biodiversitätsziele gefährden.

Zunahme und Ausmaß von Störungstrends

„Die Analyse der Störungstrends hat gezeigt, dass die Schäden durch alle Störungsursachen – Wind, Feuer, Borkenkäfer, andere biotische und abiotische Einwirkungen – von 1950 bis 2019 deutlich zugenommen haben“, sagt der Hauptautor der Studie Marco Patacca (WUR). Die geschätzten durchschnittlichen Schäden in Europa belaufen sich auf 52,4 Millionen m3 Holz pro Jahr zwischen 1950 und 2019. Betrachtet man jedoch nur die letzten 20 Jahre, so ist dieser Durchschnittswert auf etwa 80 Millionen m3 pro Jahr gestiegen, was 16 % der gesamten jährlichen Holzernte in der EU entspricht. Auf regionaler und nationaler Ebene überstieg der Schadholzanfall manchmal sogar 100 % der geplanten Ernte, was letztlich die langfristigen Waldbewirtschaftungspläne gefährdete.

Einzigartige Datensammlung

Das Forschungsteam hat eine einzigartige Sammlung von empirischen Bodenbeobachtungen von Störungsschäden in Europa zusammengestellt, die mehr als 170 000 Datensätze umfasst. Die Daten wurden in der Database of Forest Disturbances in Europe (DFDE) gesammelt und über das europäische Forschungsprojekt I-Maestro öffentlich zugänglich gemacht. Um den Mangel an historischen Überwachungsdaten zu beheben, hat das Team ein Netzwerk von über 20 nationalen und europäischen Experten auf diesem Gebiet aufgebaut. Sie sammelten die Daten der Länder in Papierform und in den Landessprachen und kombinierten Expertenwissen mit statistischen Modellen, um die Geschichte der Waldstörungen in 34 europäischen Ländern zu rekonstruieren.

Klimabedingte Störungen

Die Forscher stellten fest, dass alle untersuchten Störungsursachen zunahmen, aber Borkenkäfer und andere biotische Faktoren – wie Insekten, Krankheiten, Pilze und andere Organismen – den stärksten Anstieg verzeichneten. Da diese Ursachen bekanntermaßen sehr empfindlich auf den Klimawandel reagieren, rechnet die Forschergruppe mit weiteren und zunehmenden Schäden, wenn die Klimaveränderungen weiter voranschreiten. Allerdings werden viele dieser Faktoren in der aktuellen Berichterstattung nur unzureichend erfasst. Auch die Auswirkungen von Dürren sind nur schwer von sekundären Störungen zu unterscheiden, und es fehlt an Berichten.

Bedarf an gesamteuropäischer Überwachung

Die Analyse weist auf Mängel in den nationalen Berichterstattungspraktiken hin und betont die dringende Notwendigkeit, ein europaweites, homogenes Überwachungssystem einzurichten, das aus einer Kombination von satelliten- und bodengestützter Datenerfassung von Waldstörungen besteht. Ein solches System wäre von zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Anpassung an sich verändernde Störungsregime, für die Bewertung politischer Kompromisse und für das Aufzeigen alternativer Waldbewirtschaftungspraktiken in den europäischen Waldregionen. „Um die Störungsdynamik in Waldökosystemen und ihre Wechselwirkungen mit dem Klima zu verstehen, sind Daten von entscheidender Bedeutung“, sagt Patacca. „Wenn wir diese Dynamik nicht verstehen, ist es nicht möglich, alternative, klimagerechte Bewirtschaftungsmethoden zu entwickeln, um unsere Wälder an künftige Veränderungen der Störungsregime anzupassen“.

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