Stahlimporte in der EU: Warum neue Zölle zur Belastung für die Energiewende werden könnten

Europa rüstet seine Stahl-Industrie gegen Billigimporte. Doch wo Grenzen dichter werden, stockt der Stoffkreislauf. Der neue EU-Vorschlag zum Stahlhandel zeigt, wie Industriepolitik und Kreislaufwirtschaft abgewogen werden müssen.

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Flüssiger Stahl im Hochofen: Künftig soll nachvollziehbar sein, wo er geschmolzen und gegossen wurde. Die „Melt-and-Pour“-Klausel soll Etikettenschwindel verhindern. Foto von Yasin Hemmati

Die Europäische Kommission will den europäischen Stahlsektor mit einem neuen Maßnahmenpaket schützen. Der am 7. Oktober 2025 vorgelegte Vorschlag (COM (2025) 726) sieht eine deutliche Reduzierung der zollfreien Einfuhrmengen auf 18,3 Millionen Tonnen pro Jahr vor, was einer Halbierung gegenüber 2024 entspricht. Für über diese Menge hinausgehende Importe soll der Zollsatz von 25 auf 50 Prozent steigen. Zusätzlich soll eine neue „Melt-and-Pour“-Klausel eingeführt werden, die Importeure verpflichtet, den Ort der Schmelze und des Gusses nachzuweisen. Damit will die Kommission die Umgehung von Herkunftsregeln verhindern und die Rückverfolgbarkeit von Stahlprodukten stärken. Die geplante Verordnung soll die bisherigen Schutzmaßnahmen ersetzen, die im Juni 2026 auslaufen.
Die Kommission begründet den Vorschlag mit der zunehmenden weltweiten Stahlüberproduktion, die nach ihren Angaben das Fünffache des europäischen Jahresverbrauchs erreicht. Ziel sei, die Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung der europäischen Stahlindustrie langfristig zu sichern. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, ein „starker, dekarbonisierter Stahlsektor“ sei entscheidend für die wirtschaftliche Sicherheit und strategische Autonomie der Europäischen Union. Das Maßnahmenpaket soll nun im Gesetzgebungsverfahren beraten werden.

Stahl ist der unsichtbare Baustoff der Energiewende. Ohne ihn lassen sich weder Windkraftanlagen noch Strommasten, Solarmodulrahmen oder Elektrofahrzeuge herstellen. Rund 230 Tonnen Stahl stecken in einer einzelnen Windkraftanlage, und für den Ausbau der erneuerbaren Energien wird der Bedarf in Europa bis 2030 um ein Drittel steigen. Entscheidend ist daher, ob dieser Stahl bezahlbar und in ausreichender Menge verfügbar bleibt.
Die neuen Schutzmaßnahmen sollen laut Kommission die europäische Industrie widerstandsfähiger machen, könnten jedoch auch die Materialkosten erhöhen. Wenn Stahlimporte teurer werden, verteuern sich auch Anlagen für Solar- und Windenergie sowie Infrastrukturprojekte. Darauf verweist auch das Bureau of International Recycling (BIR), das vor einer möglichen Verknappung recycelter Metalle warnt. Der eigentliche Zielkonflikt liegt damit weniger in der Überwachung von Handelsströmen als in der Frage, wie Europa industrielle Eigenständigkeit mit offenen Rohstoffmärkten vereinbart. Ein Zuviel an Protektionismus könnte Investitionen bremsen und die grüne Transformation verlangsamen, zu wenig Schutz hingegen gefährdet Arbeitsplätze und Produktionskapazitäten im Stahlsektor.

Das BIR fordert deshalb, Sekundärrohstoffe ausdrücklich als strategische Ressourcen anzuerkennen. Alev Somer, Direktorin für Umwelt und Handel beim Verband, sagte: „Recycelte Materialien sind für die Dekarbonisierung der Metallindustrie von entscheidender Bedeutung und sollten als strategische Ressourcen in der Kreislaufwirtschaft anerkannt werden. Die Stärkung der Recyclingunternehmen durch freien Handel statt Einschränkung ist der Schlüssel zur Erreichung sowohl der Klimaziele als auch der industriellen Wettbewerbsfähigkeit.“ Hinter den Zollquoten steht also mehr als eine Marktregelung. Es geht um die Frage, wie Europa Produktion, Recycling und Handel so verbindet, dass wirtschaftliche Stabilität, Klimaschutz und internationale Beziehungen zusammen bestehen können.

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