DIW: Atomausstieg problemlos

Sechs Fragen an Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin: „Öffentlich-rechtlicher Fonds könnte Zugriff auf Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber sicherstellen

  1. Frau Kemfert, die kommerzielle Nutzung der Atomkraft in Deutschland soll bis 2022 beendet sein. Wird die Stromversorgung auch nach Abschalten der Atomkraftwerke noch sicher sein?
    Ja, die Stromversorgung wird auch nach Abschalten der Atomkraftwerke noch sicher sein. Wir haben bereits heute einen Stromangebots-Überschuss, der auch durch die bevorstehende Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld nicht viel kleiner werden wird. In Modellsimulationen haben wir errechnet, dass wir auch nach 2022 ausreichend Stromkapazitäten haben werden. Wir werden sogar auch weiterhin noch Stromexporteur sein.
  2. Im Juni soll das AKW Grafenrheinfeld vom Netz genommen werden. Wie wird der Wegfall der Kapazitäten kompensiert?
    Im Moment haben wir einen Stromüberschuss. Wir produzieren mit 45 Prozent noch immer einen Großteil unseres Stroms mit Kohle, und der Anteil der Erneuerbaren Energien ist stark gestiegen. So haben wir im Moment die paradoxe Situation, dass hocheffiziente und moderne Gaskraftwerke still stehen, weil sie sich nicht rechnen, da der Börsenstrompreis zu niedrig ist. Der Ersatz der Atomkraft wird, jetzt aktuell auch im Süden Deutschlands, durch erneuerbare Energien, aber auch durch Gaskraftwerke und effiziente Kraft-Wärme-Kopplung geschehen.
  3. Was wird der Rückbau des AKW Grafenrheinfeld kosten?
    Die Schätzungen für den Rückbau eines Atomkraftwerks liegen ungefähr bei einer Milliarde Euro. Jetzt weiß man aber aus Erfahrungen in der Vergangenheit, dass die Kosten deutlich darüber liegen können. Zusätzlich zu dem Rückbau eines Atomkraftwerks kommen ja noch weitere Kosten hinzu. Das betrifft die Frage, wie man mit dem strahlenden Müll und den strahlenden Resten eines solchen Kraftwerks umgeht bis hin zur Endlagerung von dem über Jahrtausende zu lagernden Atommüll. Die Kostenschätzungen sind also im höchsten Maße unsicher.
  4. Reichen die Rückstellungen der Anlagenbetreiber, um die Folgekosten des Atomausstiegs zu tragen?
    Etliche Studien zeigen, dass die Kosten des Rückbaus und auch der Endlagerung sehr viel größer sein können als die Rücklagen, die die Konzerne gebildet haben. Es ist die Frage, welche Möglichkeiten man schafft, damit die Gelder auch zur Verfügung stehen. Unser Vorschlag an dieser Stelle ist die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Fonds. Einerseits können in diesen Fonds die Rückstellungen fließen, die von den Betreibern gebildet worden sind. Andererseits sollte auch eine gewisse Nachschusspflicht gewährleistet werden, damit die Gesellschaft nicht am Ende die Kosten, die dann noch zusätzlich anfallen könnten, allein trägt. Man muss sicherstellen, dass die Konzerne sich auch an diesen Kosten beteiligen, und daher ist unser Vorschlag die Einrichtung eines solchen Fonds.
  5. Wie groß ist die Gefahr, dass sich die AKW-Betreiber ihrer Verantwortung entziehen? Was passiert zum Beispiel im Falle einer Insolvenz?
    Wenn wirklich die Betreibergesellschaft insolvent geht, muss man sich darüber Gedanken machen, was mit den Rückstellungen passiert und wer überhaupt Zugriff auf die Werte nehmen kann, die ein Unternehmen noch hat, wenn es zahlungsunfähig ist. Da kann man einerseits mit dem Haftungsrecht agieren, um zu gewährleisten, dass die Rückstellungen immer sicher sind und man auch den Zugriff auf diese Rückstellungen hat. Hundertprozentig sicher ist das aber nicht. Insofern wäre es sinnvoller, man würde einen Fonds einrichten, wie es ihn auch in anderen Ländern gibt, damit man auch die Sicherheit hat, auf diese Gelder zurückgreifen zu können.
  6. Bis zum Jahr 2031 soll die Standortauswahl für ein Atommüll-Endlager abgeschlossen sein. Wann, glauben Sie, wird ein Endlager tatsächlich in Betrieb genommen werden?
    Das ist ebenfalls sehr unsicher. Man weiß es schlichtweg nicht, wann man sich einigen wird. Wir haben schon etliche Jahrzehnte an Diskussionen hinter uns und die Frage ist, wie viel Jahrzehnte brauchen wir noch, bis wir uns irgendwann einigen können? Man kann nur hoffen, dass die Politik sich irgendwann einigt.
    (Das Gespräch führte Erich Wittenberg.)

->Quelle: diw.de