Energie. Wende. Jetzt.

Energiesysteme subsidiär und international aufbauen

Eine hervorstechende Eigenschaft von Erneuerbarer Elektrizität ist, dass es ihre kostenlosen Ressourcen Sonne und Wind fast überall gibt, wo Menschen leben. Leider sind die besonders ergiebigen Orte, wo entsprechende Wandler mit hohen Nutzungsfaktoren (dem Verhältnis aus installierter Leistung und gewonnener Arbeit) betrieben werden können, aus eben diesem Grund menschlichem Leben nicht zuträglich (Wüsten, Sturmküsten, Anlage 6). Die bisher wenig diskutierte Antwort auf diese Herausforderung ist es, Erneuerbare Energie in großem Stil (Abbildung 3) transportierbar zu machen. Damit wird sie zu einer Handelsware, die beliebig gelagert und transportiert werden kann, ganz so wie wir das von den fossilen Energieträgern kennen.

Die anscheinend widersprüchliche Natur der volatilen und verteilten Erneuerbaren Energie legt eine subsidiäre Gestaltung des Systems nahe. Dazu werden Strukturen gebraucht, welche die unterschiedlichen Elemente (Abbildung 2) des Energiesystems bedienen. „Struktur“ meint dabei nicht eine einheitliche Organisation sondern eine Reihe von Unternehmen, welche unter regulatorischer Kontrolle des Staates in Kooperation und Wettbewerb die Energieversorgung sicherstellen. Je nach Ebene im subsidiären System ist staatliche Kontrolle regional, national, europäisch oder international zu organisieren. Sie wird unterschiedliche Instrumente benötigen, die teilweise existieren, die aber einer Ergänzung bedürfen, um optimal wirksam zu sein. Energiepolitik ist daher regional, national, europäisch und international und bedarf einer entsprechenden Koordination. Das ist von der Politik teilweise erkannt (Anlage 8), wird aber bisher nicht wirksam praktiziert.

Erneuerbare Primärelektrizität wird am wirkungsvollsten sofort und nahe am Gewinnungsort genutzt. Das spricht für verteilte Systeme, welche die Volatilität im Strom kurzzeitig durch lokale Speicher elektrisch und thermisch ausgleichen. Um den Effizienzverlust und die Komplexität der lokalen Anlagen in Grenzen zu halten, sollte nicht Autarkie angestrebt, sondern eine Verschaltung von lokalen Stromversorgungen (Schwarmkraftwerk) vorgenommen werden. Durch Zulieferungen von stofflichen Energieträgern sowie von Ergänzungsstrom ergibt sich eine lokale bedarfsgerechte Versorgung, in der die Nutzer auch als Produzenten auftreten. Das in Deutschland verfügbare solare Energiepotenzial ist allerdings überschaubar (Anlage 7) und wird durch die dichte Besiedelung und durch Akzeptanzprobleme weiter reduziert. Somit kann nur ein begrenzter Anteil der benötigten Energie lokal erzeugt werden.

Dieses Konzept stößt in Ballungszentren und für die Versorgung von Industrieanlagen ohnehin an seine Grenzen. Hier wird eine nationale Struktur sinnvoll sein, welche die gleichen Aufgaben wie die lokalen Strukturen hat, die Bereitstellung von Primärelektrizität und die Zulieferung von (importierter) Energie. Vor allem wird diese Struktur regionale Ungleichgewichte ausgleichen und die bedarfsgerechte Stromversorgung garantieren. Dazu kann sich diese heute weitgehend existierende und im Ausbau befindliche Struktur weiter einer europäischen Vernetzung bedienen, die in Ansätzen ebenfalls bereits existiert. Die europäische Energieunion mit ihren wesentlich besseren Möglichkeiten der „Energieernte“ (Anlage 7) ist zwar ein Thema der politischen Agenda (Anlage 8), wird aber nicht sehr entschlossen vorangetrieben.

Ein Kohlenstoffkreislauf in Europa mit z.B. Pipeline-Systemen für CO2 und flüssige oder gasförmige Brennstoffe könnte einen erheblichen Anteil der europäischen Energieanwendungen bedienen (Anlage 9). Der dafür erforderliche technische und regulatorische Aufwand würde wesentlich dazu beitragen, dass die europäischen Energieziele tatsächlich erreicht werden. Entgegen den Einschätzungen der Bundesregierung erscheint dies mit den bisher wirkenden Maßnahmen nicht sicher gewährleistet (Anlage 10) Für die besonders energiehungrige Bereitstellung der synthetischen Kraftstoffe oder großer Mengen von Wasserstoff eignet sich ein weltweiter Stoffkreislauf (Anlage 6). Hier würden Tankschiffe zum Einsatz kommen. Für den interkontinentalen Einsatz wären auch flüssige reversible Wasserstoffträger (13) (liquid organic hydrogen carriers, LOHC) und Ammoniak geeignet (Anlage 9).

Der Aufbau solcher Systeme über Grenzen von politischen Strukturen (regional, national europäisch), Industrien und Branchen sowie regulatorischen Systemen hinweg ist ein heroisches Werk mit sehr vielen Gestaltungsaufgaben der Politik. Ihr Erfolg würde sich unter anderem daran messen lassen, ob die erforderlichen Kapitalbeträge investiert werden. Darunter liegen technische Herausforderungen von ähnlichen Ausmaßen, die Steuerung, Digitalisierung und den störungsfreien und sicheren Betrieb betreffen. Die Vermittlung der Fakten und Hintergründe dazu an eine breite Bevölkerung in Zeiten nationalstaatlicher Bestrebungen ist eine weitere Aufgabe. Ohne die mehrheitliche Zustimmung der Nutzer wird es sehr schwer, das unbedingt notwendige Vertrauen von Investoren und Unternehmen zu derartigen Projekten auf allen Ebenen eines subsidiären Systems zu bekommen.

Zur Internationalität der Energieversorgung gehört ein länderübergreifendes System für die Bepreisung von CO2. Es mag opportun sein, aus Zeitgründen mit einem nationalen System zu beginnen, das dann aber kompatibel mit einem europäischen System angelegt sein muss. Damit begegnet man dem Argument, dass man in der Tat nicht warten kann, bis der „Letzte in Europa“ dieser Grundlage eines erfolgreichen Umbaus der Energieversorgung zustimmt. Nützlich wäre es, eine „Allianz der Einsichtigen“ zu formen und das Vorhaben zu beginnen: Viele Finanzminister wollen sich weltweit für eine wirksame Bepreisung von Kohlendioxid einsetzen und im Kampf gegen den Klimawandel international besser zusammenarbeiten. Das vereinbarten Ressortchefs aus allen Teilen der Welt, darunter Bundesfinanzminister Olaf Scholz, im Rahmen der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank am 13.04.2019 in Washington (s. solarify.eu/internationale-klimakoalition-fuer-co2-bepreisung).

Folgt: Den Wandel zeitlich flexibel gestalten