Merkel: „Sehr umfassende Veränderung unserer Vorgehensweise“

„Klimaschutzgesetz schon vor Greta im Koalitionsvertrag vereinbart“

Frage: Frau Bundeskanzlerin, welchen Einfluss haben Greta und Co. eigentlich auf Ihre Klimapolitik?

BK’in Merkel: Sie haben uns sicherlich zur Beschleunigung getrieben. Ich denke, es gibt zwei Dinge: Das eine ist, dass wir auch in Deutschland jetzt sehr außergewöhnliche Wetterverläufe haben, was die Menschen schon aufrüttelt und einfach auch zeigt, welche Schäden Nichthandeln oder zu wenig Handeln mit sich bringt. Zweitens gibt es die Tatsache, dass wir mit den bisherigen Vorgehensweisen zwar unsere Klimaziele für 2010 erreichen konnten, aber nicht mehr die für 2020. Das hat dazu geführt, dass wir gesagt haben: Wir müssen da anders herangehen. Wir hatten ja schon vor Greta im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir ein Klimaschutzgesetz brauchen, aber die Ernsthaftigkeit, mit der Greta, aber auch viele, viele junge Leute uns darauf hinweisen, dass es um ihr Leben geht und dass ihre Lebensperspektive einfach eine weitaus längere ist, hat uns sicherlich schon noch einmal dazu gebracht, entschlossener an die Sache heranzugehen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Transportunternehmen und Autofahrer sind sehr verunsichert, um nicht zu sagen verärgert: Sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Nun haben Sie gerade gesagt, der CO2-Preis ist für Sie der effizienteste Weg. Können Sie in etwa sagen, was auf die Unternehmen dann zukommt, zumal die ja nicht über eine vielleicht geringere Stromsteuer entlastet werden können, wie das die Frau Schulze vielleicht vorhatte.

BK’in Merkel: Nein, ich kann Ihnen heute zu Details nichts sagen. Das ist ja genau unser Ansatz. Ich halte auch nichts davon, jeden Tag in einem anderen Sektor irgendetwas anzukündigen. Es muss zum Schluss ein Gesamtpaket von einem verlässlichen Pfad der Bepreisung und einem vernünftig wirkenden sozialen Ausgleich sein, der eben zum Beispiel auch die unterschiedlichen Situationen in Stadt und Land mit in Betracht zieht, der natürlich auch schaut: Wie stehen wir da mit Blick auf andere europäische Länder. Das alles zu bedenken, dauert noch ein paar Wochen. Man kann nicht sozusagen einfach einmal schnell darüber befinden. Sie können davon ausgehen, dass wir ein hohes Maß an Berechenbarkeit haben wollen und dass wir auch auf den sozialen Ausgleich sehr stark achten.

„Sie können heute alternative Kraftstoffe herstellen, aber die sind halt deutlich teurer“

Zusatzfrage: War denn im Klimakabinett gestern der Weg CO2-Preis Konsens?

BK’in Merkel: Auch darüber gibt es noch Diskussionen. Ich kann nur berichten, dass die Gutachter mit für mich nachvollziehbaren Argumenten deutlich gemacht haben, dass aus ihrer Sicht die Bepreisung der effizienteste Weg ist. Was wir – so glaube ich – verstehen müssen, ist, dass es ja keinen kostenlosen Weg gibt. Zum Beispiel Anreizprogramme für eine verbesserte Ladeinfrastruktur oder Kaufprämien für die Elektromobilität oder andere Maßnahmen wie steuerliche Förderung der Gebäudesanierung – da gibt es bündelweise solche Maßnahmen -: Die werden sowieso gemacht werden müssen. Aber die kosten natürlich auch alle Geld. Sie können heute alternative Kraftstoffe herstellen, aber die sind halt deutlich teurer als Kraftstoffe, die auf Mineralölbasis entstehen. Wenn Sie einmal zusammenrechnen, was Sie dann an finanziellen Aufwendungen brauchen, dann hat der Staat entweder sehr viele Aufgabe, das immer auszugleichen, weil er überlegen muss, woher er das Geld nimmt, oder aber der Bürger wird auf andere Weise belastet, weil er eben dann höhere Ausgaben hat. Das heißt also: Es ist nicht die Frage, ob man sozusagen kostenlos oder durch Bepreisung die Klimaziele erreichen kann, sondern es ist die Frage: Wie setze ich das Geld am effizientesten ein, sodass ich mit dem geringsten Aufwand zu dem besten Klimaergebnis komme? Darüber müssen wir reden. Es gibt niemanden in der Bundesregierung, der die Klimaziele infrage stellt, aber es gibt schon noch die Diskussion, wie viel Ordnungsrecht, wie viel Förderung, wie viel Anreize machen wir und wie viel des Weges müssen wir durch Bepreisung zurücklegen? Und es wird auch nicht 100 zu null geben aus meiner Sicht, sondern es werden alle Elemente eine Rolle spielen.

„Etwas zu ambitioniert“

Frage: Frau Merkel, ich würde gern mit Ihnen zum Thema Klimaschutz zurückkehren und Ihnen ein Zitat vorhalten, das lautet: „Der Klimaschutz erfordert rasches und energisches Handeln.“ Vielleicht erkennen Sie es wieder? Es ist von 1995, damals waren Sie Umweltministerin, und die Klimakonferenz in Berlin stand bevor. Da haben Sie das der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt. Mit angemessener Selbstkritik: Würden Sie sagen, dass Sie sozusagen das, was Sie damals gefordert haben, eingehalten haben? Immerhin sind Sie ja seitdem ein ganzes Weilchen schon in oberster politischer Verantwortung in Deutschland.

BK’in Merkel: Na ja, also, ich habe das damals in der Berliner Konferenz gesagt, und falsch war es ja nicht. Jetzt ist die Frage, was das für Deutschland bedeutet hat. Wir haben dann unser Ziel für 2010 festgelegt. Das waren 20 Prozent Reduktion bezogen auf 1990. Das haben wir eingehalten. Wir haben uns 2007, glaube ich – das kann ich jetzt nicht ganz genau sagen, 2007 oder 2008 -, etwas vorgenommen, das im Rückblick schon sehr ambitioniert war. Wir haben nämlich gesagt: Von 2010 bis 2020 wollen wir weitere 20 Prozent CO2 einsparen. Sie wissen: Von 1990 bis 2010 gab es die Phase der deutschen Einheit, wo auch sehr viele ineffiziente Anlagen abgeschaltet wurden. Da hatten wir also 20 Prozent Reduktion erreicht. Und jetzt in zehn Jahren – also in der Hälfte der Zeit, ohne deutsche Einheit – noch einmal 20 Prozent: Das hat sich als etwas zu ambitioniert herausgestellt. Da hatten wir auch Phasen sehr hohen Wirtschaftswachstums dazwischen. Wir haben nach der Finanzkrise wieder sehr starkes Wirtschaftswachstum gehabt. Die Bevölkerung Deutschlands ist noch einmal sehr stark angewachsen. Das sind Faktoren, die uns da gehemmt haben. Deshalb sind wir jetzt ja so hinterher, dass wir unsere Verpflichtungen für 2030, dann nämlich 55 Prozent Reduktion – also in zehn Jahren noch einmal 15 Prozentpunkte – zu erreichen, auf neuen Wegen erreichen müssen, weil sich die alten Wege dann doch ab 2013, 2014 als nicht mehr ausreichend erwiesen haben. Ich würde sagen: Wir haben da eine schwache Stelle in unseren Verpflichtungen, das ist mit dem Jahr 2020. Wobei jetzt sehr interessant ist – ich will jetzt keine lange Abhandlung halten, aber man muss versuchen, es zu verstehen -: Wir haben ja für den Industriebereich in der Europäischen Union den Zertifikatehandel eingeführt. Der Zertifikatehandel läuft so, dass immer eine bestimmte Summe von Zertifikaten ausgegeben wird und dabei unterstellt ist, dass es ein bestimmtes Wirtschaftswachstum gibt. Jetzt fand in den Jahren 2007 bis 2009 dieser große weltweite Wirtschaftseinbruch statt. Dadurch waren viel zu viele Zertifikate auf dem Markt. Dadurch sind die Preise dieser Zertifikate verfallen. Es hat dann einige Jahre in Europa gedauert, ehe wir diese Menge der Zertifikate wieder verringert haben.

„CO2-Preis wirkt zum ersten Mal“

Seit ein oder zwei Jahren wirkt zum ersten Mal der Preis. Wir haben jetzt einen Preis von ungefähr 25 Euro pro Tonne CO2. Das führt interessanterweise – das konnten Sie vorletztes Jahr sehen, das werden Sie für das letzte Jahr sehen können und wahrscheinlich auch in diesem – dazu, dass die Braunkohlekraftwerke bei einem Preis von 25 Euro pro Tonne CO2 plötzlich weniger exportieren und dadurch unsere CO2-Emissionen relativ sinken. Das ist jedenfalls ein Faktor. Ein anderer Faktor sind da manchmal auch warme Sommer oder warme Winter. Jedenfalls haben wir in den letzten Jahren wieder eine bessere Bilanz als wir zwischen 2014 und 2017 hatten. Das lässt sich insofern auch nicht zu 100 Prozent voraussagen. Langer Rede kurzer Sinn: Wir haben trotzdem 2020 eine Schwachstelle. Um das Ziel 2030 zu erfüllen, brauchen wir weitere Maßnahmen, und an denen arbeiten wir gerade. Aber Deutschland gehört zu den in Europa doch schon recht ambitionierten Ländern, also das europäische Ziel 40 Prozent bis 2030 erreichen zu können, konnte nur so abgeschlossen werden, weil Deutschland sagt, dass wir den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren.

Frage: Das Thema Klimaschutz ist ja nicht das einzige Thema, aber möglicherweise das wichtigste. Deshalb meine Frage: Gibt es, um die SPD bei der Stange zu halten und die dortigen zentrifugalen Kräfte ein bisschen zu bändigen und einzuhegen, politische Rabatte, die die Union bei bestimmten Themen geben könnte, damit die SPD in der Koalition bleibt, auch mit Blick auf die anstehenden Parteitagsentscheidungen gegen Ende des Jahres?

BK’in Merkel: Wir haben einen Koalitionsvertrag, und der bleibt natürlich auch die Grundlage. In diesem Koalitionsvertrag sind Projekte enthalten, die der SPD schwerfallen, und es sind Projekte enthalten, die der Union schwerfallen. Trotzdem sind wir verpflichtet, diese Projekte jeweils auch durchzusetzen. Ich will einmal daran erinnern, dass wir vor wenigen Wochen sieben Gesetze beschlossen haben, die alle etwas mit der verbesserten Steuerung der Migration zu tun haben, insbesondere auch der Frage, wie wir die Rückführung von Menschen, die kein Recht haben, sich in Deutschland dauerhaft aufzuhalten, verbessern. Das waren keine einfachen Entscheidungen für die SPD, aber die waren der Union sehr wichtig. Dann gibt es andere Fragen, die der SPD sehr wichtig sind. Ich glaube, davon haben wir auch schon eine ganze Vielzahl von Dingen verabschiedet. Es ist ja keine Neuigkeit, dass neben der Klimafrage das Thema der Grundrente noch ein kompliziertes ist.

Ich habe neulich mit jungen Menschen im Naturkundemuseum diskutiert, und da ging es um die Frage: Mit wem können wir Partnerschaften für das Klima schließen? Da habe ich gesagt: Schließt doch einfach einmal eine Partnerschaft von Berlin nach Vorpommern, denn dort stehen die Windräder, dort sind die Leute sauer, dass die klappern und Krach machen, sie bekommen aber keine Abstandsregelung, und ihr wollt alle Ökostrom; vielleicht sollte man also einmal dieses Gespräch suchen. Solche Dinge sind eben von Wichtigkeit.

->Quelle: cvd.bundesregierung.de/sommerpressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel