Wasserstoffstreit in der Koalition

H2-Strategie der Regierung lässt auf sich warten – Diskussion geht weiter – Vorschlag von Fraunhofer

Die Meinungsverschiedenheit könnte sich zur Regierungskrise auswachsen: Während die SPD auf dem Weg in die (grüne) Wasserstoff-Industrie schneller vorangehen will, bremst die CDU. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf der Koalitionspartnerin am 19.04.2020 in der ARD ganz generell Dauer-Bremsen vor. Sein Energieexperte Bernd Westphal hatte schon 17.04.2020 der Nachrichtenagentur Reuters gesagt: „Wir sollten den Stein ruhig ein bisschen weiter ins Wasser werfen und mit mutiger Politik den Hochlauf organisieren“.

H2 grün - SymbolUnd schon früher hatte Westphal gesagt: „Neben der regenerativen Stromerzeugung und dem Netzausbau ist gerade auch eine starke Wasserstoffwirtschaft ein entscheidendes Element für eine erfolgreiche Energiewende. Unter Einsatz von erneuerbarem Strom produzierter Wasserstoff kann schon heute in diversen Bereichen der Energieversorgung und der Industrie eingesetzt werden. Ebenso wichtig sind synthetische Brenn- und Kraftstoffe, die auf der Basis von Wasserstoff hergestellt werden. Mit ihnen können wir aus der Stromwende eine echte Energiewende machen – auch dort, wo wir elektrische Energie nicht direkt nutzen können, wie zum Beispiel im Flugverkehr, der Schifffahrt und in der Wärmeversorgung.“

Auch das SPD-geführte Finanzministerium ist mit dem aktuellen, der Nachrichtenagentur  Reuters vorliegenden Entwurf der Wasserstoff-Strategie aus dem  federführenden Wirtschaftsministerium nicht sonderlich zufrieden. Während das Haus von Vize-Kanzler Olaf Scholz den Aufbau einer elektrischen Produktions-Kapazität für Wasserstoff von 10 Gigawatt bis 2030 favorisiert, peilt das Wirtschafts- und Energieministerium nur 3 bis 5 GW an. Westphal hält das ebenfalls für zu wenig und will „eine Quote im Luft- und auch im Schwerlastverkehr“.

Überhaupt nicht überzeugt vom grünen Wasserstoff ist Dorothee Saar, DUH-Bereichsleiterin Verkehr und Luftreinhaltung. Die Bundesregierung arbeite immer noch an ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie. Die Gefahr: Selbst grüner Wasserstoff sei im Straßenverkehr eine Scheinlösung und könne wirksamen Klimaschutz ausbremsen. Und klimaneutrale E-Fuels stünden auch bei optimalem Hochlauf in den nächsten zehn Jahren nicht in ausreichender Menge zur Verfügung.

Die Regierung ringt seit Monaten um die Strategie, die Teil des Klimapakets ist. Während bei Autos der direkte elektrische Antrieb favorisiert wird, fehlen klimafreundliche Lösungen für Schwerlaster, die Schifffahrt oder Chemie- und Stahlindustrie. Wasserstoff, der mit Hilfe Erneuerbarer Energien über Elektrolyse hergestellt wird, soll die Lücke füllen. Die Produktion dieses grünen Wasserstoffs ist jedoch so teuer, so dass bislang nur kleinere Pilotprojekte existieren – deshalb fordert Westphal: “Wir müssen Marktführer in Europa bei der Produktion von grünem Wasserstoff werden”. Um die Produktion anzureizen, müsse Erneuerbarer Strom zudem günstiger und beispielsweise für fünf Jahre von Umlagen befreit werden, schlägt Westphal vor.

Unions-Wirtschafts- und Energieexperte Joachim Pfeiffer warnte dagegen vor ‚Planwirtschaft‘ und plädierte für den Einsatz auch von Erdgas bei der Produktion. “Wir brauchen große Mengen in allen Sektoren”, sagte er im Hinblick auf den Pkw-Verkehr. Auch das Verkehrsministerium dringe darauf. Scheuer könnte Autoproduzenten helfen, Verbrennungsmotoren in modifizierter Form noch länger einzusetzen.

Im Umweltministerium hat man aber Sorge, dass wegen des stockenden Ausbaus der Windenergie und des Solardeckels am Ende zuviel Grünstrom für die Wasserstoffproduktion eingesetzt wird. Viele halten es ohnehin für unumgänglich, dass – entsprechend der inzwischen modernisierten Desertec-Idee folgend – mittelfristig Wasserstoff etwa aus sonnen- und windreichen Gegenden Südeuropas oder Afrikas importiert werden muss.

Folgt: Linke Zweifel an der Wasserstoffstrategie: „Ökologische Folgen und Kosten der Wasserstoffwirtschaft“