Corona-Pandemie und Klimaschutz

2. Vorübergehend sinkende Treibhausgase, aber der Klimanotstand bleibt

Nach der Mitteilung des Umweltbundesamts und des Umweltministeriums (UBA/BMU 2020) gingen die Treibhausgasemissionen (THG) im Jahr 2019 in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 6,3% zurück. Das ist erfreulich, aber kein Grund zur Selbstzufriedenheit deutscher Klimaschutzpolitik. Denn die Ursachen für diesen Rückgang liegen vor allem bei der Reform des europäischen Emissionshandels, die den CO2-Durchschnittspreis im Jahr 2019 auf 24,65 Euro fast verdoppelt hat sowie dem gesunkenen Weltmarktpreis für Erdgas. Beide Faktoren machten Kohlestrom im Vergleich zu Strom aus Gaskraftwerken teurer. Daher wurden 2019 3,5 GW Steinkohlekraftwerke stillgelegt und Braunkohlekraftwerke in die sogenannte Sicherheitsreserve überführt. Bleibt die Preisrelation oder sinkt der Erdgaspreis wegen des stark gesunkenen Ölpreises weiter, dann könnten allein die Marktrends einen Kohleausstieg in Deutschland deutlich vor 2038 in Gang setzen.

Im Ergebnis wurden im Stromsektor allein im Jahr 2019 fast 51 Mio. t CO2 (Reduktion um 16,7% gegenüber 2018) weniger emittiert. Auch in der Industrie gingen die THG-Emissionen gegenüber dem Vorjahr um 3,7% zurück. Dagegen stiegen sie im Gebäudebereich um 4,4% und im Verkehr um 0,7%, also in den Sektoren, wo die Defizite der nationalen Klimaschutzpolitik am deutlichsten sichtbar werden.

Durch die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie werden die THG-Emissionen – je nach Szenario – weiter sinken, sodass durch diesen Einmal-Effekt das Reduktionsziel der Bundesregierung (Senkung um mindestens 40% gegenüber 1990) „[…] nun doch erreicht oder sogar übererfüllt wird. Hinzu kommt, dass der sehr milde Winter zu Beginn des Jahres 2020 ebenfalls für deutliche Emissionsminderung sorgt“ (Agora Energiewende 2020). Die Bandbreite der Corona-bedingten Senkung der THG-Emissionen schwankt für das Jahr 2020 nach der Analyse von Agora im Stromsektor um 30-50 Mio. t CO2e, im Industriesektor von 10-25 Mio. t CO2e, im Verkehrssektor von 7 bis 25 Mio. t CO2e und im Gebäudesektor zwischen 5-15 Mio. t CO2e, jeweils gegenüber 2019. In der Summe würde dies eine Schwankungsbreite zwischen 52 – 115 Mio. t CO2e bedeuten: „In einem mittleren Szenario dürften es -80Mio t CO2e gegenüber dem Vorjahr bzw. -42% gegenüber 1990 werden.“ (Ebenda).

Es ist unklar, ob und ggf. wie die Energie- und THG-bezogenen Daten von Agora mit den bis März 2020 vorliegenden BIP-Schätzungen einer Rezession von Wirtschaftsforschungsinstituten korrelieren. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates (SVR Sondergutachten 2020) errechnet eine Bandbreite für den Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in 2020 zwischen 2,8% und 6%, das Ifo-Institut zwischen rund 4% und 21% und das Institut für Weltwirtschaft Kiel zwischen 4,5% und 9% (Die Welt 2020). Zum Vergleich: In der Weltfinanzkrise 2008/2009 sank das BIP in Deutschland um 5,7%.

Welche der Projektionen auch immer der Realität nahe kommen wird, in einem stimmen die Institute überein: dass nämlich die Nach-Corona-Zeit durch erhebliche wirtschaftliche Aufholeffekte geprägt sein wird. Leider enden die makroökonomischen Modellierungen bei der Wiederherstellung des nominellen wirtschaftlichen Status quo. Ob und ggf. wie durch welche staatlichen Anreize ein klimaverträglicher Strukturwandel damit induziert wird, scheint nicht zu interessieren.

Für die dringende Beschleunigung der Klimaschutzmaßnahmen ergibt sich damit aber eine dreifaches Risiko: Erstens liegt die Versuchung nahe, die weitgehend extern verursachten oder einmaligen THG-Minderungseffekte der Jahre 2019/2020 als politische Erfolge und bequeme Rechtfertigung für klimapolitische Untätigkeit zu verkaufen. Zweitens bedeuten einfache wirtschaftliche Nachholeffekte ohne einen gleichzeitigen klimaverträglichen Strukturwandel eine Zementierung des Status quo, also einen weiteren Zeitverlust für den dringend notwendigen ambitionierteren Klimaschutz. Und drittens könnte durch die Schuldenaufnahme zur Eindämmung der Corona bedingten Wirtschaftskrise der Finanzierungsspielraum für eine aktive Klimaschutzpolitik und für Anreize für einen gerechten Strukturwandel („just transition“) auf ein Minimum reduziert werden – nach dem fatalen Motto: „Erst die Ökonomie, später das Klima retten.“

Folgt: Integrierte Krisenlösung – ein Zukunftsinvestitionsprogramm ankündige