Corona-Pandemie und Klimaschutz

4. Mit der Ökologie aus der Krise: Ansatzpunkte integrierter Krisenbewältigung

In einer Studie von Prognos und Boston Consulting Group (Prognos/Boston Counsulting Group 2018) für den BDI wird hierfür im Vergleich zu einem Referenzszenario ein Mehr-Investitionsvolumen von insgesamt 1000 Mrd. Euro errechnet, d.h. durchschnittlich bezogen auf einen Zeitraum 2015 bis 2050 um fast 29 Mrd. Euro pro Jahr. Dabei ist davon auszugehen, dass allein für die energetische Sanierung des Gebäudebestandes staatliche Förderung in Höhe von etwa 4-5 Mrd. Euro pro Jahr notwendig ist (Prognos/IFEU/IWU 2015). Dennoch oder gerade deshalb sind die Arbeitsplatzeffekte auch bei einer noch ambitionierteren Gesamtstrategie positiv: Auch bei einer CO2-Reduktion um 95% bis zum Jahr 2050 errechnet Prognos in einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung (gestützt auf die oben genannte BDI-Studie) in Summe etwa 43.000 zusätzliche Arbeitsplätze gegenüber einem Referenzszenario, insbesondere im Baugewerbe (Prognos/FES 2019).

Das Umweltbundesamt (UBA 2020) hat in einer Analyse für das Jahr 2017 Zahlen über die Beschäftigung im Umweltschutz vorgelegt. Hieraus wird deutlich, dass es fahrlässig wäre den schon bisher in der Summe positiven Jobzuwachs nicht mit weiteren Maßnahmen in Zukunft zu verstärken. Die Anzahl der Beschäftigten im Umweltschutz ist von 1,452 Millionen (2002) bis 2010 (2,835 Mio.) stark und danach nur noch schwach gestiegen. 1,5 Millionen Beschäftigte führten 2017 Arbeiten für den Klimaschutz aus. Allerdings mussten dabei die Zuwächse bei der energetischen Gebäudesanierung den durch die Energiepolitik verursachten Rückgang bei erneuerbaren Energien ausgleichen. Die Struktur der Beschäftigung im Umweltschutz – energetische Gebäudesanierung im Bestand, erneuerbare Energien, Umweltschutzorientierte Dienstleistungen, Nachfrage nach Umweltschutzgütern – liefert erste Hinweise über die ökologischen Wachstumsfelder. Der „Umwelttechnik-Atlas“ des Umweltministeriums (BMU 2018) ermittelt weltweite „GreenTech“-Leitmärkte, deren Volumen von 2016 (3,213 Mrd. Euro) auf 5,902 Mrd. Euro in 2025 ansteigen. Diese Summe setzt sich aus den Marktvolumina der sechs GreenTech-Leitma?rkte zusammen: Energieeffizienz: 837 Milliarden Euro; Nachhaltige Wasserwirtschaft: 667 Milliarden Euro; Umweltfreundliche Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie: 667 Milliarden Euro; Rohstoff- und Materialeffizienz: 521 Milliarden Euro; Nachhaltige Mobilität: 421 Milliarden Euro; Kreislaufwirtschaft: 110 Milliarden Euro. In diesen Schwerpunkten ist die deutsche Industrie noch stark wettbewerbsfähig und könnte im Rahmen eines Zukunftsinvestitionsprogramms weitere Kompetenz- und Beschäftigungsfelder ausbauen.

International wie für Deutschland liegen weitere Studien und Evaluierungen vor, welche Kernbereiche ein sozial-ökologisches Zukunftsprogramm umfassen sollte. Für die USA legte zum Beispiel das White House eine Studie zum Stimulusprogramm nach der Finanzkrise 2008/2009 vor, „[…] that the Recovery Act clean energy related programs supported roughly 900,000 job-years in innovative clean energy fields from 2009 to 2015“ (The White House 2016). Die Schwerpunkte dieser Programme lesen sich wie Bausteine eines universell übertragbaren Katalogs für forcierten Klimaschutz und „Green Economy“: „Scaling up Renewable Energy Generation, Reducing Costs for Clean energy Technologies, Improving Energy Efficiency, Driving Modernisation, Promoting Grid Modernization, Increasing Advanced Vehicle and Fuels Technologies, Stimulating the Growth of Energy Storage.“

Für Deutschland sollte auf der Grundlage vorliegender Studien und laufender Programme ein passgenaues und auf die laufenden Klimaschutzaktivitäten bezogenes Zukunftsinvestitionsprogramm entwickelt werden. UBA-Präsident Messner fordert hierzu:

„Der Umweltschutz darf uns in der Corona-Krise nicht unter die Räder geraten. Wichtig ist, bei allen Konjunkturpaketen auch auf den Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu achten. Grüne Investitionen können sich nämlich doppelt lohnen. Sie bauen die Wirtschaft wieder auf und tun gleichzeitig etwas für den Umweltschutz. Sinnvoll sind etwa Investitionen in den ÖPNV, die Elektrifizierung der Autos und die nachhaltige Sanierung von Gebäuden. So können nach der Corona-Krise neue Jobs mit Zukunft entstehen, die uns bei der Lösung der Klimakrise helfen“. (UBA/BMU 2020; Pressemitteilung vom 9.4.2020; siehe auch mit einem internationalen Appell Birol/IEA 2020).

Eine massive Förderung nachhaltiger kommunaler Mobilität (z.B. den Umweltverbund) würde auch helfen die wachsenden Finanzprobleme in den Kommunen zu entschärfen. Die einschlägigen Kapitel im MEMORANDUM 2019 sowie 2020 der „Arbeitsgruppe Alterative Wirtschaftspolitik“ zur Energiewende (Hennicke/Rasch/Schröder 2019a) sowie zur nachhaltigen Mobilität (Hennicke et al. 2020) enthalten einen detaillierten Maßnahmenkatalog, der zur Orientierung für ein sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm herangezogen werden kann (s.u.).

Die Corona-Krise hat auch grundsätzliche Fragen demokratischer Krisenbewältigung aufgeworfen. Das gilt erst Recht für die Klimakrise und die sozial-ökologische Transformation. Wie soll die zukünftige Governance hierfür aussehen und wie soll die Steuerungs- und Prozessverantwortung für den damit verbundenen ökonomischen Strukturwandel institutionell verortet werden? Dieser Beitrag plädiert für die Bildung von „Räten der sozial-ökologischen Transformation im Rahmen einer polyzentrischen Governance“ (vgl. hierzu Hennicke et al. 2019b). Damit wird an die gewerkschaftlichen Konzepte der überbetrieblichen Mitbestimmung angeknüpft, aber auch der wachsenden ökologischen Protestbewegung und der zivilgesellschaftlichen Forderung nach wirksamer Öffentlichkeitsbeteiligung Rechnung getragen. Denn eine sozial-ökologische Transformation besitzt langfristigere, systemische und vor allem auch ökologische Dimensionen, in denen auch aus Sicht lohnabhängig Beschäftigter nicht nur Fragen der Sicherung des Lebensunterhalts (Einkommen, Arbeits- und Gesundheitsschutz), sondern darüber hinaus noch fundamentalere Fragen des langfristigen Strukturwandels zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen (wie ausreichender Klima- und Gesundheitsschutz) zur Diskussion und Entscheidung anstehen. Darüberhinaus erfordern weit in die Zukunft weisende Zielvorstellungen wie die des Klimaschutzes ein wissenschaftliches Foresight-Instrumentarium (zum Beispiel Szenarien), also eine kontinuierliche begleitende Anwendung wissenschaftlicher Analysen und Methoden. Daher müssen in den vorgeschlagenen Räten neben Repräsentanten von Arbeit, Kapital, Politik und (Umwelt-)NGOs auch Vertreter der nachhaltigkeitsorientierten Wissenschaft eingebunden werden. Die Berufung durch die Regierung, die pluralistische Zusammensetzung und der Auftrag der »Kohlekommission« liefern einen Ansatzpunkt, um über das mögliche Format und Mandat der Einsetzung von Räten zur sozial-ökologischen Transformation nachzudenken.

Folgt: Lehren aus dem Krisenmodus