Buchkritik: Die Klima-Schmutz-Lobby

Warum ein radikaler Umschwung in der Klimapolitik notwendig ist

Um unter der vom Weltklimarat empfohlenen Erwärmung von weniger als 2 Grad oder möglichst 1,5 Grad zu bleiben, müsste jeder Mensch bereit sein, seinen Alltag zu verändern – weniger Auto zu fahren oder mehr für sein Steak zu bezahlen. Ein klimafreundliches Leben müsste hingegen belohnt werden. Aber weil viele Regierungen die Klimawende hinauszögern, müssen immer mehr CO2-Reduktionen in immer kürzerer Zeit beschlossen werden. Es bleibt also weniger Zeit für unsere persönliche Anpassung. Die Regierungen spielen den Ball an die Bürger zurück, weil sie nicht den Mut zum Durchgreifen haben und die Klimawende nicht mit einer sozialen Idee verbinden. Das hat fatale Folgen: Notwendige, aber teilweise unbeliebte Veränderungen könnten die Rechtsextremisten stärken und Parteien unter Druck setzen, sich zwischen konsequenter Klimapolitik und der Aufgabe von Klimazielen zu entscheiden. Wenn die Verlierer der Energiewende wirklich mobilmachen (beispielsweise Angestellte im Kohle- und Automobilsektor) und Länder zudem unerwartet in wirtschaftliche Krisen geraten, könnte das den gesellschaftlichen Diskurs über den Klimaschutz von heute auf morgen ändern. Welcher Politiker hält dann noch die Fahne für den Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel hoch?

Um die europäische Politik vor der Klima-Schmutz-Lobby zu bewahren, müssen ihre Ziele als das erkannt werden, was sie sind: ideologische und finanzielle Interessen einzelner Branchen. Doch diese Transparenz fehlt. Wir sind mit unseren Recherchen an Grenzen gestoßen. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern sind Lobby-Transparenzregister vorhanden oder ausreichend Informationen verfügbar. In den meisten Ländern gibt es sie überhaupt nicht. Es bleibt im Dunkeln, wie finanzstark viele Verbände, Vereine oder Stiftungen sind, ob und wann sie in den Parlamenten ein und aus gehen, mit wem sie sprechen und wie viel Geld sie Politikern für ihren neuen Job am Ende einer Legislaturperiode zahlen. Wir haben viele der präsentierten Fakten mithilfe der US-Transparenzregister recherchiert, in Europa unzählige Gespräche geführt, Leaks verfolgt und mühselig Konferenzprogramme und Einladungskarten durchgesehen – so gelang es uns, die Netzwerke der Lobbyisten aufzuspüren. Oftmals konnten wir nur feststellen, dass es ein Sponsoring gibt – aber nicht, in welcher Höhe. Es ist durchaus denkbar, dass die millionenschweren US-Thinktanks mehr Geld und Manpower in Europa investieren, als uns bekannt ist. Auch der Bundestag ist eine Blackbox. Wer beispielsweise im Bundestag oder in den Ministerien ein und aus geht und ob dort Lobbyisten sogar angestellt sind, erfahren auch Journalisten nur, falls Parteien dazu Kleine Anfragen an die Bundesregierung stellen.

Aufgrund dieser Intransparenz ist es der Klima-Schmutz-Lobby gelungen, ihre Interessen als die Interessen aller zu verkaufen. Dabei kann das Ziel für alle Menschen nach Lage der Fakten nur sein, aus dem fossilen Zeitalter auszusteigen. Daher benötigt echter Klimaschutz in Zukunft bessere Regeln für Lobbyisten: Beispielsweise sollten Politiker, aber auch Beamte in Länderregierungen und im EU-Parlament offenlegen müssen, wenn sie sich mit Lobbyisten treffen, egal, ob sie von Greenpeace oder E.ON sind. In Frankreich müssen Parlamentarier bereits heute ihre Agenda online stellen, damit Bürgerinnen und Bürger sehen, mit wem sie wann sprechen. Zudem sollten bezahlte Nebenjobs für Politiker verboten werden – sie verführen Abgeordnete zu parteiischen Abstimmungen. Auch lukrative Jobs in der Privatwirtschaft sollten nach dem Ende der Amtszeit ausgeschlossen werden.

Das sind alles notwendige Regeln – aber sie sind nicht ausreichend. Denn wie wir gesehen haben, widerstrebt Klimaschutz vielen Regierenden aus ideologischen Gründen, sie sind in einem alten System verhaftet. Gegen diese gefühlte Zugehörigkeit haben bislang unzählige alarmierende Berichte und Fakten von Klimaforschern wenig ausrichten können. Deshalb müssen wir, als Journalistinnen, Politiker oder Bürgerinnen, dem Narrativ der Lobbyisten eine mächtige faktenbasierte Erwiderung entgegensetzen: wie wir in einer klimafreundlichen Welt besser und gesünder leben können.

Ein klimafreundliches 21. Jahrhundert würde uns viele Vorteile verschaffen: Innenstädte ohne Autoabgase. Schadstofffreies, lokales Essen. Bibliotheken und Kulturzentren statt Shoppingmalls. Jobs bei Solarkonzernen und im öffentlichen Nahverkehr, Urlaub mit bequemen Nachtzügen und Belohnungen fürs Nichtkaufen. Statt uns über Konsum, teure Produkte und sozialen Status zu definieren, könnten wir wieder Dinge in den Fokus stellen, die gut für uns und dazu auch noch klimafreundlich sind: kochen mit Freunden, Sprachen lernen, Kinofilme gucken, Theater besuchen, spazieren gehen, unter freiem Himmel zelten. Noch sind die Erzählungen der Klima-Schmutz-Lobby stärker. Aber: Alle Lobbys sind immer nur so mächtig wie die unreflektierte Zeit und Aufmerksamkeit, die Regierungen und Medien ihnen widmen. Ihren großen Einfluss können wir, anders als das heraufziehende Klimachaos, wieder zurückdrängen.

Susanne Götze, Annika Joeres: Die Klima-Schmutz-Lobby, 304 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 20,00 [D], € 20,60 [A], EAN 978-3-492-07027-0. Erschienen am 02.06.2020

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