Buchkritik: Die Klima-Schmutz-Lobby

Zum Buch: Strategien, Netzwerke und Argumente die Klimaschutz-Bremser gegen die europäische Klimaschutzpolitik

„Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“, haben die Autorinnen Susanne Götze und Annika Joeres ihr Buch „Die Klima-Schmutz-Lobby“ untertitelt. Und sie fahren fort „Wie mächtige Netzwerke den Klimaschutz sabotieren“. Was so apodiktisch daherkommt, ist gut recherchiert und birgt wenig Optimismus: „Spätestens seit ‚Fridays for Future‘ ist das Thema ‚Klimawandel‘ als eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit erkannt worden. Doch trotz eindeutiger Verpflichtung zu den Zielen des Pariser Weltklimaabkommens sind wir weit davon entfernt, diese auch zu erreichen – warum?“ Die Autorinnen lassen keinen Zweifel: „Ihre Argumente sind krude, ihre Finanzen undurchsichtig, aber ihr Einfluss reicht bis in Regierungen. Klimawandelskeptiker und Lobbyisten der Fossilindustrie sind nicht nur in den USA aktiv, sondern auch in Europa. Ihr Ziel: Klimaschutzgesetze torpedieren, die Verbrennung fossiler Rohstoffe fördern und die Staaten dazu bewegen, aus dem Pariser Weltklimaabkommen auszusteigen.“

Dieses Buch zeige, so die Internet-Ankündigung, mit welchen Strategien, Netzwerken und Argumenten die Klimaschutz-Bremser gegen die europäische Klimaschutzpolitik kämpfen. Die Autorinnen erklären, warum Deutschland seine Klimaziele wirklich verfehle*) und welche Interessengruppen unsere Zukunft verbauten. „Ein erschütternder Bericht darüber, dass gut gemeinte Selbstverpflichtungen gar nichts bringen und ein Weckruf: Wir brauchen eine starke Klimapolitik!“

Susanne Götze ist promovierte Historikerin und passionierte Journalistin. Sie arbeitet als Radiojournalistin für den Deutschlandfunk und schreibt u.a. für SPIEGEL, SZ, die Frankfurter Rundschau, Zeitonline, National Geographic und Cicero über Klimakrise, Klimadiplomatie, Energiewende.
Annika Joeres arbeitet in Frankreich für die Investigativ-Redaktion correctiv.org und verschiedene deutsche Medien wie der Zeit. Sie ist spezialisiert auf grenzüberschreitende Recherchen zu Europa, Frankreich und Klimawandel und wurde für ihre Recherchen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

*) geschrieben  v o r  Ausbruch der Corona-Pandemie mit allen schein-positiven Folgen für den Klimaschutz – der Lockdown beschert uns unverdientermaßen doch die Vorerst-Einhaltung unserer Klimaziele…

Leseproben aus „Die Klima-Schmutz-Lobby“

Einleitung
Mitten im heißen Klima-Herbst 2019 reist Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Badische. Die hügelige Landschaft ist beschaulich – kleine Waldstückchen, saftige Wiesen, gemütliche Gasthäuser. Im Städtchen Sinsheim aber wird diese Idylle durchbrochen: Autobahnen und Fernstraßen durchschneiden die Landschaft, riesige Gewerbeparks zersiedeln die sattgrüne Senke. Die Fußwege sind schmal, Radwege gibt es kaum. An jenem sonnigen Oktobertag, als die Klimaaktivistengruppe Extinction Rebellion vor dem Kanzleramt campt und ihre Anhänger die Hauptstadt lahmlegen, nimmt Merkel um neun Uhr morgens ihren Flieger Richtung Sinsheim. Auf ihrer Agenda: die „Klima Arena“ eröffnen – ein privates Ausstellungshaus über die Gefahren des Klimawandels. Gebaut wurde es von Dietmar Hopp, Mitgründer des Softwarekonzerns SAP und einer der reichsten Deutschen. Seine „Klima Arena“ ist nur mit dem Auto zu erreichen. An den günstigen Autobahnanschluss haben die Veranstalter gedacht, dass Gäste mit dem Zug oder zu Fuß kommen, ist nicht vorgesehen. Trotzdem laufen einige wenige Besucher entlang der Leitplanken an der Schnellstraße, vorbei an Schallschutzwänden des Autobahnkreuzes. Wer hätte gedacht, dass jemand mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Einweihung einer Klimaausstellung anreist? Ist man einmal angekommen, geben die knallbunten Stellwände der Ausstellung aber den guten Rat: Zu Fuß gehen schützt das Klima am besten.

Schickeria und Lokalgrößen von Baden-Württemberg sind mit ihren Limousinen gekommen, auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Es gibt Schnittchen und schöne Worte. Die „Arena“ ist ein Neubau mitten auf dem freien Feld. Für das Gelände wurden 2,6 Hektar Freifläche versiegelt. Sogar eine eigene Straße, die Dietmar-Hopp-Straße, führt zum Autobahnzubringer, gleich um die Ecke. Direkt neben der „Klima Arena“ steht ein imposantes Parkhaus, davor eine betonierte Fläche mit Dutzenden SUVs und Porsches. Als der ehemalige SAP-Chef Hopp bei der Eröffnung sagt, dass „alle beim Klimaschutz mitmachen müssen“, applaudiert das Publikum. „Seid Teil der Klimabewegung.“ Der Klimawandel ist, zumindest verbal, bei den deutschen Eliten angekommen.

Drei Wochen zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel ihr Klimaschutzprogramm 2030 vorgelegt, das nach Ansicht vieler Wissenschaftler bei Weitem nicht ausreicht, um Deutschland aus dem fossilen Zeitalter zu führen. Merkel verteidigt ihr Programm in der „Klima Arena“. Man wolle die Ziele schrittweise erreichen. Die Christdemokratin spricht von „einigen Kontroversen“, die es um ihr Klimaprogramm gegeben habe. „Als wir das erste Mal vor zwei Jahren von der ›Klima Arena‹ erfuhren, konnte ja keiner wissen, dass das Thema heute so präsent ist“, entfuhr es der Kanzlerin. Nein? Das hätte niemand wissen können? Ein entblößender Satz angesichts eines seit 30 Jahren aktuellen, globalen Themas. Hatte Kanzlerin Merkel nicht schon 2007 mit dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel in roten Anoraks auf Grönland gestanden und einen strengeren Klimaschutz angemahnt? Wollte sie nicht schon damals „schrittweise“ vorgehen? Und hatte sie nicht schon als CDU-Umweltministerin Mitte der 1990er-Jahre die erste UN-Klimaschutzkonferenz in Berlin eröffnet?

Ja, das war dieselbe Bundeskanzlerin, deren Klimaziele 2020 scheitern. Alle Prognosen prophezeien seit Jahren, dass Deutschland seine angestrebte Senkung von Treibhausgasen um 40 Prozent im Jahr 2020 weit verfehlen wird. Es sind noch immer rund 86 Millionen Tonnen CO2 zu viel jedes Jahr. Die Klimaziele für 2020 werden wir wahrscheinlich erst 2025 erreichen. Doch dann winkt schon das nächste Klimaziel 2030: Da werden wir mindestens doppelt so viel einsparen müssen. Für ihre Versäumnisse muss die Bundesregierung in den nächsten Jahren sogar Hunderte Millionen Euro zurücklegen, um damit Verschmutzungsrechte aus anderen EU-Mitgliedsländern zu kaufen. Auf den Steuerzahlern lasten laut Finanzplan der Merkel-Regierung also zusätzliche 100 Milliarden Euro im Jahr. Das ist die traurige Bilanz von drei Jahrzehnten Klimaschutzpolitik in Deutschland. Auch mit dem aktuellen Klimapaket für 2030 sitzt die Große Koalition die Klimakrise weiter aus. Doch aus der Krise droht bald eine Katastrophe zu werden. Mit ihrer Politik des „Machbaren“ ist die Kanzlerin gescheitert. Sie reicht nicht aus, um den Fakten der Wissenschaft gerecht zu werden. Sie reicht höchstens für ein bisschen Klima-Show – wenn es sein muss, auch im badischen Sinsheim. Dabei weiß die Regierung selbst, dass sie handeln müsste. Ihr Sachverständigenrat für Umweltfragen – das wissenschaftliche Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung – errechnete die Restmenge an klimaschädlichen Gasen, die ab 2020 in Deutschland noch emittiert werden dürfen, um die Erde nach den Pariser Klimazielen nicht mehr als 1,75 Grad aufzuwärmen: 6600 Millionen Tonnen. Derzeit stoßen wir 866 Millionen Tonnen Treibhausgase jährlich aus. Übrig bleibt ein Budget, das mit unserem Lebensstil nur noch für knapp acht Jahre reicht.

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