EU will AKW als umweltfreundlich einstufen

Der europäische Streit um die Kernkraft – ist sie wirklich umweltfreundlich?

Vor gut drei Jahren nannte DLF-Autor Frank Grotelüschen (zu Recht) „Transmutation Verharmlosung des Atommülls“ und untersuchte in einer halbstündigen Sendung, wie der stark strahlende atomare Abfall wiederverwendet werden kann – gleich zu Anfang kam er zu dem Schluss: „zu teuer, zu aufwändig, zu ineffektiv“. Dabei ist die Auseinandersetzung um die CO2-Belastung durch AKW das kleinere Übel: bisher völlig ungelöst ist das Atommüll-Problem. Mit anderen Worten: Wir kippen unseren Nachkommen den atomaren Dreck ungerührt vor die Haustür. Und machen mit EU-Billigung weiter so.

AKW Cruas an der Rhone – „harmlos“ durch spielendes Kind – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Atomenergie emittiere laut IPPC deutlich weniger CO2 als fossile Brennstoffe wie Kohle und Gas, so das ZDF am 29.12.2021, und hinterfragt die Rechtfertigung des Atomausstiegs durch den neuen Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck: Ob der grüne Minister nicht eine Klimasünde schönrede?

Das Umweltbundesamt hat vor zwei Jahren Atomstrom als „keineswegs CO2-neutral“ eingestuft. Die Treibhausgasemissionen seien „größtenteils der Stromproduktion vor- und nachgelagert. Betrachtet man den gesamten Lebensweg – von Uranabbau, Brennelementherstellung, Kraftwerksbau und -rückbau bis zur Endlagerung – so ist in den einzelnen Stufen des Zyklus zum Teil ein hoher Energieaufwand nötig, wobei Treibhausgase emittiert werden.“

Das UBA weiter: „Bei Stromerzeugung aus Kernenergie fallen Emissionen auch im Betrieb an, da Uran abgebaut, angereichert und für sehr lange Zeit endgelagert werden muss. Insbesondere die CO2-Emissionen, die noch für die Endlagerung entstehen werden, sind nur schwer absehbar (da es nur sehr wenige empirische Daten gibt). Auch die beim Abbau von Uran entstehenden Emissionen können nicht eindeutig bestimmt werden. Unter anderem aus diesen Gründen sind die Bandbreiten für die CO2-Emissionen im Lebenszyklus von Kernenergie sehr hoch und die Ergebnisse fallen sehr unterschiedlich aus. Laut ?IPCC?-Bericht von 2014 liegen die Treibhausgasemissionen von Kernkraftwerken über den gesamten Lebenszyklus im Bereich von 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde mit einem ?Median? von 12 g CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde.“

Und doch behaupten Interessengruppen, Kernenergie sei emissionsfrei und klimaschonend: „Wer gegen Kernenergie ist, ist gegen Klimaschutz“ oder „wer von Kernenergie nicht reden will, soll vom Klimawandel schweigen“, lauteten kürzlich virale Tweets (siehe Deutsche Welle Faktencheck vom 11.11.2021). Und manche behaupten gar: „Die Atomenergie steht vor ihrem Comeback.“ Etwa die österreichische Berater-Firma Enco. Sie betrachtete in einer für das niederländische Wirtschaftsministerium erstellten Studie wohlwollend die mögliche zukünftige Rolle der Kernenergie für die Stromgewinnung in den Niederlanden: „Die Hauptgründe für die Wahl der Kernenergie sind die Verlässlichkeit sowie die Versorgungssicherheit und das ganz ohne jegliche CO2-Emission.“ Enco wurde von Experten der Atomenergie-Behörde gegründet und arbeitet mit Stakeholdern der Kernkraft…

Der Wiener Standard fragte am 10.03.2021 rhetorisch, ob Kernenergie das Klima „retten“ könne, und beantwortete die Frage gleich selbst: „Es sieht nicht danach aus.“ Autor Andreas Schnauder glaubte allerdings in seinem Text, „CO2-freie Atomenergie könnte einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten“, aber er schätze die „Realität vorerst anders“ ein. (Nur „vorerst“, denn Atomkraft-Anhänger setzten ihre Hoffnungen auf Minireaktoren). Zehn Jahre nach Fukushima sei der „Rückschlag für den Energieträger langsam überwunden“, der mit zum Rückgang der Kernenergie auf lediglich zehn Prozent der weltweiten Stromerzeugung beigetragen habe. Eine Ursache sieht Schnauder im Klimaschutz und glaubt nach wie vor dem Märchen von der CO2-freien Kernkraft: Der Klimaschutz „beflügelt die CO2-freie Stromerzeugung via Kernspaltung“, zeigt sich Schnauder überzeugt – „trotz der ungelösten Frage des radioaktiven Restmülls“. Keine Rede vom militärischen Nutzen der Atomenergie, immer ein Hintergedanke der Befürworter. Aber obwohl weltweit derzeit gut 100 Reaktoren geplant seien,würden die wohl kaum alle ans Netz kommen. Denn die sündteuren Bauten verzögerten sich immer weiter und kämen die Länder viel teurer zu stehen als ursprünglich angesetzt. So werde etwa am französischen Flamanville 3 seit 2007 gebaut – die erwarteten Baukosten hätten sich inzwischen annähernd vervierfacht, ebenso bei Hinkley Point in Großbritannien und Olkiluoto 3 in Finnland.

Die Atom-Renaissance sei auch deshalb ein Irrtum,“ weil zwischen Plänen und Inbetriebnahme von AKW Welten liegen“. Dass 2020 nur zwei Reaktoren ans Netz gingen, lässt Rogner vorsichtig werden: Er rechnet nur mit den tatsächlich in Bau befindlichen rund 50 AKW und erwartet einen Rückgang der Atomkraft in den kommenden 20 bis 30 Jahren um zehn bis 15 Prozent – die IAEA rechnet dagegen mit einem geringen Anstieg, aber das sei viel zu wenig für den Klimaschutz.

S4F: Kernenergie keine Technologie zur Lösung der Klimakrise

„Zur Lösung der Klimakrise kann die Kernenergie nicht beitragen, da sie zu langsam ausbaufähig, zu teuer und zu risikoreich ist. Zudem behindert sie strukturell den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die gegenüber der Kernkraft schneller verfügbar, kostengünstiger und ungefährlich sind“. Das belegt ein internationales Team von Fachwissenschaftlern der Scientists for Future (S4F) in einem sehr sorgfältig recherchierten und am 16.10. 2021 veröffentlichten (am 27.10. per Mail verschickten) Text auf (siehe: solarify.eu/zu-teuer-zu-langsam-zu-gefaehrlich-zu-blockierend).