Die Vermessung der Ozeane

Wie hat sich im Vergleich der letzten Jahre das Bewusstsein entwickelt für die Zusammenhänge zwischen Ozean und Klima?

Die Wichtigkeit der Ozeane war unter Experten der Klimaforschung von Anfang an bekannt, anders als vielleicht bei der Bevölkerung. In den letzten Jahren sind es natürlich vor allen Dingen zwei Aspekte, die die Wichtigkeit besonders deutlich machen. Hinsichtlich der Erwärmung sind es die Fragen: Hat der Klimawandel stattgefunden? Hat er sich abgeschwächt? Da ist es spannend, in das Ozeansystem zu schauen, denn dort stecken 90 Prozent der durch den Klimawandel gewonnenen Wärmeenergie. Sie ist im Ozean angekommen, das kann man dank Argo und den Satelliten mittlerweile sehr genau messen und die Frage beantworten: Erwärmt sich das System immer weiter oder nicht? Im Moment sind die Signale klar. Es gibt und gab keine Pause der Erderwärmung, der Ozean speichert jedes Jahr mehr Energie und erwärmt sich auch in großen Tiefen.

Und der zweite Aspekt?

Das ist der Meeresspiegelanstieg. Den kann man sehr gut per Satellit beobachten, aber es sind noch viele Fragen offen nach den regionalen Signalen und deren Auswirkungen auf die Küstensysteme. Der regionale Meeresspiegelanstieg fällt sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wo und wie die Erwärmung stattfindet, wo die Gletscher und Eispanzer schmelzen und wie schnell die Erdkruste auf die Veränderungen der Massen reagiert. Dazu kommen Veränderungen im Wasserhaushalt an Land und die unterschiedlichsten Küstenschutzmaßnahmen. Ein komplexes, spannendes und wichtiges System.

Das Kohlendioxid ist nicht nur in der Atmosphäre wirksam, sondern löst sich auch im Meer…

…und führt dort zu chemischen Veränderungen: Der pH-Wert sinkt. Das Meer ist seit der industriellen Revolution und insbesondere in den letzten 50 Jahren immerhin schon fast 30 Prozent (0.1 pH-Einheiten) saurer geworden. Das wirkt sich auf Korallen, Schnecken und das Plankton aus, also die Nahrungskette der Fische. Den pH-Wert im Meer zu messen, ist gar nicht so leicht. Die ersten Roboter mit pH-Sensoren sind seit wenigen Jahren im Piloteinsatz. Die Qualität und Veränderung des Planktons kann man letztlich nur durch Netzfänge feststellen. Aber auch da gibt es semi-automatische Systeme, die teilweise bei etwas langsamer fahrenden kommerziellen Schiffen hinterher gezogen werden können und seit 60 Jahren auf einigen Schifffahrtsrouten Daten erheben.
All diese Dauermessungen im Ozean sind komplex, teuer und über viele Schiffe und Plattformen verteilte. Das kann kein Leibniz-Institut oder Helmholtz-Zentrum leisten, auch kein Land wie Deutschland. Da muss man sich international zusammentun – genau dafür gibt es AtlantOS im Atlantik und ähnliche Projekte für das Mittelmeer, die Arktis, den Südlichen Ozean und den Indik und Pazifik.

Ein anderer Punkt ist die Sorge um den Golfstrom – wie ist da der aktuelle Stand?

Hier geht es um die klimawirksame Tiefenzirkulation, bei der warmes Wasser an der Oberfläche nach Norden geführt wird und in großer Tiefe kaltes Wasser zurückfließt Richtung Äquator und Antarktis. Wir sprechen hier von einer „dichtegetriebenen“ Strömung: Sie wird ausgelöst durch starkes Abkühlen im Winter in höheren Breiten, um Grönland herum.
Wenn da aber Gletschereis schmilzt und ins Meer fließt, wird der Salzgehalt geringer. Dadurch wird das Wasser beim selben Grad der Abkühlung nicht mehr so dicht und schwer. Somit kann es nicht mehr so gut absinken. Wenn dann noch mildere Winter im Klimawandel hinzukommen, führen die beiden Effekte zusammen dazu, dass nach unseren Schätzungen diese Zirkulation um 30 Prozent abnehmen wird. Bis jetzt sind die Strömungen in der Tiefe noch recht stabil. In meiner Arbeitsgruppe messen wir die Stärke der Tiefenzirkulation vor Labrador seit fast 20 Jahren.

Welche Auswirkungen hat das?

Diese Zirkulation macht 80 Prozent des Atlantischen Wärmetransports aus, insofern ist da der Effekt besonders groß. Es wird zu einer relativen Abkühlung des Nordatlantiks kommen. Allerdings wird die Reduktion des Atlantischen Wärmetransports die Erwärmung an der Oberfläche nur reduzieren, es wird also weniger warm. Die Ozeane und letztendlich die Tiefsee nehmen außerdem ein Drittel des vom Menschen eingebrachten Kohlendioxids auf und verbreiten es. Daher hat man eine Menge Effekte, die aneinander gekoppelt sind. Wenn diese Zirkulation tatsächlich schwächer wird, werden wir das an vielen Stellen merken: Dass wir weniger CO2 im Meer aufnehmen, dass wir weniger warmes Wasser nach Norden transportieren. Was uns paradoxerweise helfen würde, die Erwärmung durch den Klimawandel an Land etwas zu kompensieren: Wir bekommen dann nicht ganz so viel Hitze ab.

Folgt: Wie gehen Sie damit um, dass es noch immer einige Menschen gibt, die den Klimawandel bestreiten?