Medien im Hitzesommer 2018

Große Bandbreite

Der ‚Klima-Strichcode‘ von Prof. Ed Hawkins – Screenshot © ZDF

Die Bandbreite der journalistischen Beschäftigung mit dem „Sommer, der nie endet“ war und ist groß: Sie beginnt bei Wettersendungen wie „Alle Wetter!“ im Hessischen Rundfunk, in der Moderator Thomas Ranft immer wieder die Brücke von Wettereignissen zum Klimawandel schlägt, und damit von Alltagsbeobachtungen der Zuschauer ausgeht. Geht zur Einblendung einer (von klimafakten.de mitproduzierten) Grafik[note Die deutsche Version der „Warming Stripes“, die klimafakten.de gemeinsam mit dem britischen Klimaforscher Ed Hawkins produziert hat, schaffte es am Abend des 17.07.2018 sogar ins ZDF-heute-journal; Foto: Screenshot] zur Erderhitzung im Wetterblock des ZDF-„heute journal“. Über einen Leitartikel in der ZEIT oder den WDR 5 Presseclub, in dem Journalisten darüber debattieren, ob die Regierung den Klimaschutz verschläft.

Bis hin zu einer mehrteiligen Kommentarkontroverse auf Spiegel Online, in der sich die Redakteure Georg Diez, Axel Bojanowski und Holger Dambeck leidenschaftlich darüber streiten, ob der Klimajournalismus bisher versagt habe und jetzt die Zeit sei „für einen Journalismus von einem anderen Stern„, ob ein überhitzter Journalismus auch in diesem Sommer einmal mehr in die Alarmismus-Falle tappe – oder ob nicht der Alarmismusvorwurf verfehlt sei und die ganze Debatte an der eigentlichen Frage vorbeigehe, wie ein umwelt- und klimafreundlicheres Leben möglich sei. Und diese Aufzählung ließe sich fast unendlich fortsetzen.

Wird der Sommer 2018 so etwas wie das „Tschernobyl“ des Klimawandels?

Montagmorgen in Berlin. Die Sommerferien sind vorüber, die Dauerhitze klingt ab, die Dürre hält an. In der klimafakten.de-Redaktion sortieren wir das Geschehen der vergangenen Wochen, berichten den Urlaubsrückkehrern von den zahlreichen Anfragen, die uns zur Verwendung unserer bereits erwähnten „Wärmestreifen“-Grafik erreicht haben und fragen uns: Was bedeutet dieser Sommer jetzt eigentlich für das Thema Klimawandel als Gegenstand der öffentlichen Debatte? Wie gut, wie differenziert, wie facettenreich war die Medienberichterstattung?

Vor allem: Ist hier in den zahlreichen Medienberichten der jüngsten Tage, durch die Arbeit vieler Journalisten möglicherweise geschehen, woran auch wir bei klimafakten.de seit Jahr und Tag arbeiten – dass das abstrakte, sperrige, fern scheinende Thema Klimawandel plötzlich greifbar und erlebbar wird? Gab es gar, medial vermittelt, mit dem Dürresommer 2018 eine Art Schlüsselereignis mit politischen Langzeitfolgen, „so wie wir es beispielsweise bei Tschernobyl oder Fukushima erlebt haben“, wie der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann es formuliert?

„Die Nachfrage nach dem Thema Klimawandel ist jetzt da“

Die Wissenschaftsjournalistin Alina Schadwinkel berichtet bei Zeit Online schon lange über den Klimawandel. In diesem Sommer aber sei etwas völlig anders gewesen, sagt sie: „Die Nachfrage nach dem Thema Klimawandel ist jetzt da. Wir berichten zwar seit Jahren dauernd darüber – aber jetzt ist eben die Chance gekommen, um Zweifel auszuräumen, um aufzuklären.“ Auf diese Aufgabe stürzt sie sich mit Verve. In einer Art Kompaktausgabe der Faktencheck-Rubrik von klimafakten.de stemmt sie sich „mit Fakten gegen jeden Zweifel„. In dem fast 14.000 Zeichen langen Kompendium erklärt sie nicht nur, was Klimaforscher zu Fragen, Einwänden und skeptischen Einwürfen an die Adresse der Wissenschaft sagen würden, sondern empfiehlt Lesern auch ganz lebenspraktisch, was sie in Alltagsgesprächen entgegnen könnten.

„Auslöser meiner Geschichte waren sowohl Leserkommentare als auch Fragen, die Kollegen in den Redaktionskonferenzen stellen – im Kern beschäftigt beide nämlich durchaus dasselbe.“ Den Impetus, sich akribisch mit Forschungsbefunden zu beschäftigen und diese in eine Form zu bringen, die auch im Alltag verwendbar ist, zieht Schadwinkel aus dem simplen Wunsch nach Aufklärung: „Ich wünsche mir Leser, die nachher reflektierter debattieren können, denen ich Grundlagen für fundierte Entscheidungen vermitteln konnte.“

Dieser Schritt hin zu mehr Fundierung, zu mehr Einordnung ist den Medien nach Schadwinkels Beobachtung im Extremsommer 2018 durchaus gelungen: „Beim Thema Attribution, also bei der Frage, welchen Anteil der Klimawandel an der Häufigkeit von Extremwettereignissen hat, hatten wir in diesem Sommer durchaus so etwas wie einen breiten gesellschaftlichen Lerneffekt.“ Diese Einschätzung teilt der Hamburger Medienforscher und klimafakten.de-Beirat Michael Brüggemann: „Dieser Sommer war eine Gelegenheit für besonders interessierte Journalisten, ihr Thema Klimawandel in den Redaktionen weiter oben auf die Agenda zu setzen.“

Dieses Themensetzen war offenbar erfolgreich. Und zwar nicht nur bei der Zahl und Sichtbarkeit der Medienberichte, sondern auch bei deren Qualität. „Ich fand die Berichterstattung anlässlich des Dürresommers im Schnitt ziemlich breit und auch gut“, sagt etwa der an der Hochschule Darmstadt tätige Journalismusforscher Torsten Schäfer. „In vielen Fällen konnte man fundierten aktuellen Journalismus beobachten – einen Journalismus nämlich, der mit Bezügen zum Klimawandel einerseits den übergreifenden Kontext herstellt, der sich andererseits aber auch konkrete Folgen der Dürre ansieht, etwa mit den sterbenden Fischen in überhitzten Flüssen oder dem Mann, der öffentliche Grünanlagen wässert.“

Folgt: Deutschland schwitzt – plötzlich wirkt der Klimawandel nicht mehr weit weg