Energie. Wende. Jetzt.

Eckpunkte für eine zukünftige Energieversorgung
von Robert Schlögl

Prolog

Der Klimawandel findet schon länger statt, ist aber jetzt erst für viele Menschen unmittelbar sichtbar geworden. Das wird unter anderem durch das Ausmaß der Temperatur-Anomalie in Mitteleuropa erkennbar (Anlage 1). Für Deutschland ist derzeit die „2-Grad-Grenze“ bereits überschritten, die Welt hat einen Wert von 1,1 Grad erreicht. Damit wird eine drastische Anstrengung für die wirksame Defossilisierung des Energie­systems jetzt notwendig.

Den Akteuren fehlt eine Verständigung über die Eckwerte eines neuen Energiesystems. Eine wesentliche Konsequenz daraus ist, dass sich der Zubau von unab­dingbar nötigen Wandlern für Erneuer­bare Energie in Europa verlangsamt. Dies kann sehr gut aus Abbildung 1 abgelesen werden. Für Deutschland wird klar, dass der Kohleausstieg in der Tat vordringlich ist. Die Widersprüche, die mit der Festlegung von Eckwerten ein­hergehen, erkennt man weiter daraus, dass der Ausstieg aus der Kernenergie rein aus der Sicht einer schnellstmöglichen CO2-Reduktion nicht nachvollziehbar ist.

Weiterhin erkennt man den immer noch geringen Anteil der Erneuerbaren im Gesamt­system der Energieversorgung. Der dringende Handlungsbedarf wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Anteil von Wasserkraft und Biomasse an diesen „Erneuerbaren“ wesentlich größer ist als derjenige von Wind- und Sonnenenergie, welche die wesentlichen skalierbaren Quellen Erneuerbarer Energie sind. Vergleicht man dies mit den Erfordernissen für die Stabilisierung des Weltklimas (1), welche ein exponentielles Wachs­tum der Erneuerbaren dringend ein­fordern, wird klar, dass hier unmittelbar und tiefgreifend gehandelt werden muss. Unsicherheiten und regulatorische Fragmen­tierung in Deutschland und Europa sind mit als Ursachen für den völlig unzureichenden zeitlichen Verlauf des Energiesystem-Umbaus anzusehen. Im europäischen Kontext wirkt es sich stark negativ aus, dass Deutschland eine retardierende Gesamt­haltung einnimmt und nicht als Vorreiter fungiert.

Abbildung 1: Vergleiche der Primärenergiestruktur von EU (28) und Deutschland und Zeitreihen der Nutzung von Energiequellen für die Stromerzeugung für EU (28) und Deutschland –  Quelle: data.europa.eu

Die Energiepolitik in Deutschland wird vor allem durch Regierungshandeln ohne intensivere Beteiligung des Parlaments bestimmt. Es formieren sich „Bewegungen“, die schnelle Aktionen fordern. Diese sind eine Mischung aus ein­deutig notwendigen Aktionen und kaum er­füllbaren „Sofortmaßnahmen“, die nicht nötig wären, wenn der Umbau der Energieversor­gung systemisch und mit echtem Nach­druck angegangen würde. Wenig wird darauf geachtet, dass der Umbau des Energiesystems eine Aufgabe für Generationen ist, die sich über zahlreiche Legislaturperioden hinzieht und daher einen stabilen Beteiligungsrahmen der Gesellschaft erfordert. Die Gesellschaft ist schließlich Nutzerin dieses Systems und sie finanziert den gesamten Aufwand.

Mit dem Entwurf des Klimaschutzgesetzes (An­lage 2) setzt die Bundesregierung eine Vorgabe der EU um, die von allen Mitgliedsländern bis 2020 eine gesetzliche Grundlage der Einsparungen von Treibhausgasen verlangt. Der Gesetzentwurf will eine Unterteilung des regulatorischen Rahmens vorantreiben, um in zuständigen Bundesministerien „Verantwortliche“ benennen und belangen zu können. Damit übernimmt der Staat (Bund, Länder) die Aufgabe der Organisation des Energiesystem- Umbaus.

Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu unserem politischen System. Danach kommt dem Staat vor allem die Organisation der Willensbildung des Volkes und die Ermöglichung der Umsetzung durch einen verlässlichen regulatorischen Rahmen zu. Die technisch-wirtschaftliche Realisation obliegt der Industrie und den Bürgern/Kunden. Der Staat wiederum hat die Einhaltung des regulatorischen Rahmens zu kontrollieren und ggf. auch zu erzwingen.

In der jetzigen Konzeption tritt der Staat als Akteur und Kontrolleur gleichzeitig auf. Es ist zu erwarten, dass sich bei der Durchführung erhebliche Widerstände einstellen, welche die Umsetzung der gewünschten Ziele behindern. Weiter ist nach den bisherigen Erfahrungen mit Eingriffen des Staates in das Energiesystem zu erwarten, dass die resultierenden komplexen Regelwerke systemisch unerwünschte Effekte hervorbringen und Schlupflöcher zur Vermeidung missliebiger Aktionen verbleiben.

Das vorliegende Papier wirbt für eine andere Aufteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten beim Umbau des Energiesystems, um damit in breiter Übereinstimmung mit den Akteuren schneller zum Ziel zu gelangen. Es stellt sich hier bereits die Frage, was das Ziel einer Energiewende sein soll. Weiterhin ist der Rahmen zu definieren, in dem ein Umbau der Energieversorgung durchgeführt wird. Dies betrifft sowohl den geographischen Raum als auch den Anwendungsraum von Energie. Hier herrscht traditionell eine Fragmentierung in Sektoren vor. Abbildung 2 zeigt sehr vereinfacht die Elemente eines prototypischen heutigen Energiesystems. Derzeit versucht die Politik jedes Element und jede Relation einzeln regulatorisch differenziert zu behandeln. Sie erhofft sich dadurch optimale Regelungen und Anpassungsfähigkeiten für Ausnahmen. Die Folge ist allerdings ein komplexes und widersprüchliches Regulatorium, das andauernde Ergänzungen und Verbesserungen erfordert. Die resultierenden Unsicherheiten wiederum führen zu einer abwartenden Haltung der ausführenden Akteure (Märkte und Firmen) mit der Folge, dass sich zahlreiche Hemmnisse in der schnellen Umsetzung ergeben.

Im Versuch, die Hemmnisse durch Anpassungen zu beseitigen, ergeben sich mit der Zeit derartige Komplexitäten, dass der unbedingt nötige systemische Ansatz (z.B. bei Betrachtungen zu Einspareffekten oder Effizienzen) verloren geht. Gleichzeitig geht die Übersicht der Bürger über das Thema Energiewende verloren. Dies wiederum ermöglicht es interessierten Gruppierungen, ideologische Argumente in die Diskussion einzuweben. Vor allem mit dem Mittel des Szenarios und seiner Auslegung lassen sich Positionen so untermauern, dass punktuelle Ziele sinnvoll erscheinen, auch wenn sie systemisch schädlich sind.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Diskussion über die e-Mobilität. (Anlage 3) So richtig es ist, dass sie lokale regulierte Emissionen beseitigt, und so sehr sie eine Prozesseffizienz bietet, so wenig wird sie in den kommenden Jahrzehnten zur Einsparung von Treibhausgasen beitragen und vielmehr die Aufgabe erschweren, das Stromsystem zu defossilisieren. Zudem erzeugt sie durch die Notwendigkeit erheblicher zusätzlicher Netzausbauleistungen Pfadabhängigkeiten, die sich schwer korrigieren lassen und erhebliche finanzielle Ressourcen binden, die man effizienter zur Defossilisierung des gesamten Systems einsetzen kann.

 

Abbildung 2: Generische Elemente eines Energiesystems heute. Man erkennt von unten nach oben die Ebenen der Energieträger, der Grundanwendungen und der differenzierten Anwendungen (Sektoren) – Grafik © Schlögl_CEC

Folgt: Eckwerte eines Umbaus der Energieversorgung