Lesehinweis: Begrenztes Emissionsbudget

Darum schweigt die Bundesregierung zur wichtigsten Zahl beim Klimaschutz

Wollen wir die Klimaziele einhalten, bleibt uns eine klar definierte Restmenge an CO2, die wir noch ausstoßen dürfen. Doch zur wichtigsten Zahl der Klimapolitik bleibt die Regierung erstaunlich stumm. Es war der wohl peinlichste Moment in der Debatte der vergangenen Wochen über die deutsche Klimapolitik: Vor laufender Kamera wird die Umweltministerin gefragt, von welchem Emissionsbudget die Regierung bei ihren Planungen ausgeht. Erst versucht Svenja Schulze (SPD) der Frage auszuweichen, indem sie auf das Ziel verweist, 2050 treibhausgasneutral zu sein. Auf mehrfache Nachfragen (siehe Video im unten verlinkten Tweet) sagt sie schließlich: „Unter diesen ganzen Tonnen kann sich doch keiner was vorstellen!“ – Ein Gastbeitrag von Stefan Rahmstorf für Spiegel-online vom 20.10.2019.

HKW Reuter West – im Jahr 2,5 Mio. t CO2, 2.000 t NOx, 57 t Feinstaub, 32 kg Arsenverbindungen, 13,6 kg Hg,- Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Doch genau auf „diese ganzen Tonnen“ kommt es an, wie in den Berichten des Weltklimarats IPCC nachzulesen ist: Das Ausmaß der globalen Erwärmung steigt proportional zur Gesamtmenge der CO2-Emissionen an. Wollen wir die Erderhitzung auf eine bestimmte Temperatur begrenzen, folgt daraus eine noch erlaubte Restmenge an CO2-Emissionen für die Menschheit: das Emissionsbudget. Die Zahlen kann jeder in einer Tabelle im IPCC-Bericht vom vergangenen Jahr nachschauen.

Rahmstorf nennt 580 Gt CO2 – andere unterscheiden sich unwesentlich – wenn wir 1,5 Grad Erderwärmung nicht überschreiten wollen („1,1 Grad haben wir bereits erreicht“), wohlgemerkt seit Anfang 2018. Weil wir aber jährlich mehr als 40 Gt  in die Luft blasen, bleiben nur noch knapp 500 Gt. Rahmstorf: „Damit könnten wir noch zwölf Jahre so weiterwirtschaften wie bislang – eher kürzer, weil die globalen Emissionen ja noch steigen.“ Auch deshalb sei es „absurd, dass das Klimapaket der Bundesregierung zumindest in den nächsten sechs Jahren keine nennenswerte Wirkung haben wird“. Laut IPCC-Tabelle könnnten wir noch 800 Gt (immer seit Anfang 2018) haben, also knapp 720 Gt ab jetzt. „Und das ist eine großzügige Annahme: Der IPCC weist darauf hin, dass dieses Budget sogar noch um rund 100 Milliarden Tonnen kleiner sein könnte.“

Auch die Forderungen von „Fridays for Future“- Deutschland beruhen auf diesen wissenschaftlich fundierten Zahlen. Wie viele unserer Regierungsmitglieder, unserer Abgeordneten kennen und verstehen sie? Wer von ihnen hat wenigstens die Zusammenfassung für Entscheidungsträger der letzten Berichte des IPCC gelesen? Die Schüler haben recht: Wer von der Regierung sich damit nicht ernsthaft auseinandersetzt, betreibt Arbeitsverweigerung. …

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.

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