Europas Klimaschutz nach außen absichern

EU-Überlegungen zu CO2-Grenzausgleich gewinnen durch Corona an Bedeutung – neues MCC-Kurzdossier beleuchtet Optionen

Klimaschädliche Produkte bei der Einfuhr nach Europa verteuern: Diese Überlegung der EU-Kommission, Teil ihres Ende 2019 vorgestellten Konzepts European Green Deal, gewinnt jetzt durch die Coronakrise an Aktualität. „Nachhaltigkeit sollte bei den nun absehbaren Konjunkturpaketen weltweit mitgedacht werden – doch wenn die Regierungen da unterschiedliche Akzente setzen, wächst der Druck zur Absicherung der EU-Klimapolitik“, sagt Michael Jakob, Experte für Welthandel am Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). „Es ist zu klären, inwieweit man durch einen CO2-Grenzausgleich Trittbrettfahrern begegnen kann. Und wie man verhindert, dass sich in der EU vermiedene Emissionen bloß in andere Regionen verlagern.“

CO2 - Bildmontage © Solarify

CO2 – Bildmontage © Solarify

Ein neues MCC-Kurzdossier erklärt jetzt diesen Effekt der Emissionsverlagerung, in der Fachsprache „Carbon Leakage“, und beleuchtet die politischen Handlungsoptionen. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, plant die EU eine steigende, womöglich gar auf alle Sektoren ausgeweitete Bepreisung von CO2–Emissionen.

Diese würde durch einen CO2-Grenzausgleich auch auf Importe angewandt (durch Importzölle oder dadurch, dass Importeure Zertifikate für den EU-Emissionshandel kaufen müssten); entsprechend bekämen Exporteure eine Erstattung.

„Man kann den Grenzausgleich nach Lehrbuch konzipieren oder auch politisch, als strategisches Druckmittel“, erläutert MCC-Forscher Jakob. „Einiges spricht dafür, dass am Ende eine pragmatische Lösung herauskommt – ein Grenzausgleich lediglich für einige energie- und handelsintensive Branchen, der Carbon Leakage einigermaßen limitiert.“

Das Kurzdossier: Europas Klimaschutz nach außen absichern

Die menschengemachte Erwärmung des Planeten zu stoppen, ist zwar eine globale Aufgabe. Aber die Europäische Union hat sich hier besonders viel vorgenommen – wie kann sie damit umgehen, dass andere weniger tun? Diese Frage gewinnt durch die Coronakrise an Aktualität: Zwar sollte Nachhaltigkeit bei den nun absehbaren Konjunkturpaketen weltweit mitgedacht werden – doch wenn die Regierungen unterschiedliche Akzente setzen, wächst der Druck zur Absicherung der EU-Klimapolitik. Daher ist zu klären, inwieweit man durch einen CO2-Grenzausgleich Trittbrettfahrern begegnen kann. Und wie man verhindert, dass sich in der EU vermiedene Emissionen bloß in andere Regionen verlagern. Ein neues MCC-Kurzdossier erklärt den Effekt der Emissionsverlagerung, in der Fachsprache „Carbon Leakage“, und beleuchtet die politischen Handlungsoptionen.

  • Das Problem

Die EU stößt zwar ein Zehntel aller Treibhausgas-Emissionen aus, will aber bis 2050 klimaneutral werden. Förderprogramme sowie eine steigende, womöglich gar auf alle Sektoren ausgeweitete Bepreisung des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) sollen zum Ausstieg aus dem Verbrennen fossiler Energieträger führen. Doch wenn Europa weniger CO2 emittiert, senkt das nicht 1:1 den globalen Ausstoß: Wegen lascher Klimapolitik in Regionen außerhalb der EU wird CO2-Ausstoß zum Teil nur verlagert, es kommt zu „Carbon Leakage“.

  • Der Hintergrund

Bislang gibt es wenig empirische Hinweise auf Carbon Leakage – aber die Klimapolitik war auch wenig ambitioniert, und viele Industriebetriebe erhielten Gratis-Emissionszertifikate. Mit steigenden CO2-Preisen wird das Problem virulent. Studien auf Basis Allgemeiner Gleichgewichtsmodelle legen nahe: Ohne Gegenmaßnahmen tauchen 5 bis 19 Prozent der in der EU vermiedenen Emissionen woanders wieder auf.

  • Die Lösungsansätze

Der Anreiz für Carbon Leakage entfällt, wenn innerhalb und außerhalb der EU ähnliche Bedingungen herrschen („Level Playing Field“). Fünf Wege führen in diese Richtung.

  1. Global abgestimmte Klimapolitik. Im Idealfall wird, um den CO2-Ausstoß zu senken, die damit verbundene Produktion weltweit verteuert – und zwar in der Weise, dass die Stückkosten überall genau um den gleichen Betrag steigen. Leitinstrument kann der CO2-Preis sein. Er würde sich zunächst in jedem Land nach dem in den Klimakonferenzen zugesagten „national festgelegten Beitrag“ richten und dann je nach Entwicklungsstand nachjustiert werden: Fertigt ein Land doppelt so CO2-intensiv wie Deutschland, muss der CO2-Preis nur halb so hoch sein.
  2. Freie Zuteilung von Emissionsrechten. Weil eine global abgestimmte Klimapolitik nicht in Sicht ist, behilft sich die EU bisher mit Gratis-Zertifikaten im Rahmen ihres Emissionshandels. Begünstigt werden viele Industriebetriebe – abhängig davon, wie CO2-intensiv ihre Produktion ist und wie stark sie im internationalen Wettbewerb stehen. Die CO2-Bepreisung soll dort also nicht zu Buche schlagen, mithin keinen Anreiz für Carbon Leakage setzen. Allerdings werden die Zertifikate im Emissionshandel insgesamt verknappt, weil der Ausstoß ja sinken soll: Die Kompensation der Firmen ist zunehmend unvollständig, der Problemdruck steigt.
  3. CO2-Grenzausgleich nach Lehrbuch. Die EU kann das Level Playing Field auch andersherum sichern: die CO2-Bepreisung nicht für EU-Hersteller aussetzen, sondern auch auf Importe anwenden. Das ginge bei einer CO2-Steuer durch Einfuhrzölle und beim Emissionshandel, indem auch Nicht-EU-Hersteller Zertifikate kaufen müssten. Entsprechend bekämen Exporteure die CO2-Bepreisung erstattet. Diesen Grenzausgleich exakt zu ermitteln, ist in der Praxis allerdings sehr schwer: Man müsste für jedes Produkt, über alle Stufen der Wertschöpfung, den CO2-Fußabdruck kennen. Zudem wären für einen wirklich optimalen Grenzausgleich Anpassungs-reaktionen außerhalb der EU zu berücksichtigen (siehe Abbildung „Zwei Substitutionseffekte durch CO2-Grenzausgleich“).
  4. Sanktionen als strategische Drohung. Die EU kann Importe auch so verteuern, dass es nicht nur die eigene CO2-Bepreisung abbildet, sondern auf einen Politikwechsel bei den Handelspartnern zielt: Als Antwort auf die unkooperative Haltung von Trittbrettfahrern in der Klimafrage würde man bewusst von den Spielregeln des Welthandels abweichen. In der Folge gäbe es sogenannte Carbon Clubs, die sich nach außen abgrenzen und deren Mitglieder kooperieren, durch freien Handel oder auch Technologietransfers.
  5. Pragmatischer Grenzausgleich. Letztlich stößt man mit der reinen Lehre ebenso an Grenzen wie mit Konfrontation. Deshalb kann die EU auch versuchen, mit einem bescheidenen Ansatz Carbon Leakage einigermaßen zu limitieren: durch einen Grenzausgleich lediglich für einige energie- und handelsintensive Branchen. Auch hier würden im Gegenzug die Gratis-Zertifikate entfallen. Der Grenzausgleich würde pragmatisch festgesetzt, auch mit Blick auf die oben erwähnten Anpassungsreaktionen außerhalb der EU.
  • Carbon Leakage, CO2-Grenzausgleich und die Spielregeln des Welthandels: Was ist erlaubt?

Eine Rahmenbedingung bei Maßnahmen gegen Carbon Leakage ist das Welthandelsabkommen GATT. Es erlaubt im Prinzip, inländische Steuern per „Grenzausgleich“ auch auf Importe zu verhängen. Zudem sind explizit Handelsbeschränkungen „zur Erhaltung erschöpflicher natürlicher Ressourcen“ legitim, sofern es analoge Maßnahmen auch im Inland gibt. Darauf könnte die EU verweisen, wenn sie den CO2-Preis handelspolitisch flankieren und gleiche Voraussetzungen für EU- und Nicht-EU-Produzenten schaffen würde. Im Detail ist die Rechtslage allerdings umstritten.

  • Die Flankierung

Sollte die EU ihre CO2-Bepreisung tatsächlich mit einem pragmatischen Grenzausgleich absichern, um der bloßen Verlagerung von Emissionen entgegenzuwirken, dann stellt sich die wichtige Frage der Mittelverwendung. Studien belegen: Wenn Industriestaaten solche Einnahmen für sich behalten, werden überproportional nicht etwa andere Industriestaaten belastet, sondern Entwicklungs- und Schwellenländer. Deshalb sollte das Geld aus dem CO2-Grenzausgleich für Technologietransfer und internationale Klimafinanzierung (Green Climate Fund) verwendet werden. Alternativ sind auch Verhandlungslösungen denkbar: Der Grenzausgleich wird von den Handelspartnern selbst vorgenommen – sie besteuern also Exporte in die EU und investieren die Einnahmen in Klimaschutz.

->Quellen: