„Schon 77 Prozent des arktischen Meereises weggeschmolzen“

Neue Geomar-Chefin: CO2 im Meeresboden speichern

Im Kampf gegen die Erderwärmung werde eine Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes nicht ausreichen – davon ist die designierte Wissenschaftliche Direktorin des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel, Katja Matthes, überzeugt. Die Klimaforscherin plädierte deshalb dem SPIEGEL gegenüber für einen umstrittenen Ansatz. Zum Schutz des Klimas sollte nach ihrer Ansicht Kohlendioxid im Meeresboden gespeichert werden. Die Kieler Nachrichten nennen die Technik ebenfalls „sehr umstritten“. Und neu ist der Vorschlag auch nicht.

Vor einem Jahr weltgrößtes CCS-Projekt: 10 Mio. t CO2 in leere Gaskavernen unter der Nordsee

Eisberge, Grönland vor dem Schmelzen - Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Grönland: Meereis mit immer kleineren Eisbergen vor dem Schmelzen – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Ziemlich genau vor einem Jahr (am 09.05.2019) meldete der britische Guardian (s.a. spiegel.de/weltweit-groesste-co2-lagerflaeche-geplant), drei der größten Häfen Europas – Rotterdam (Foto unten), Antwerpen und Gent (North Sea Port: Gent-Terneuzen-Vlissingen) – , die ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen aus der Region Belgien, Niederlande und Luxemburg verursachen, wollen CO2 in ein riesige Unterwasserreservoirs leiten. Die porösen Sandsteinhohlräume sollten genutzt werden, um im Rahmen des weltweit größten Projekts dieser Art 10 Millionen Tonnen abgetrennte CO2-Emissionen etwa drei Kilometer unter dem Nordseeboden zu speichern.

Fünf Tage später (am 14.05.2019) nannte Nicole Weinhold in ERNEUERBARE ENERGIEN das Benelux-CO2-Vorhaben „gefährlich“ und einen „Fehler“. Zunächst seien 10 Mio. t CO2 bis 2030 angesichts des enormen CO2-Ausstoßes der drei Hafenstädte „allenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Entsprechend habe die EU auch Zweifel an der angeblichen positiven Auswirkung auf die Umwelt. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass Lagerstätten langfristig undicht werden. Dennoch hielten viele Wissenschaftler CCS für unerlässlich, um die Zunahme von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu bremsen. „Dieser Ansatz ist gefährlich“, sagt Weinhold. Statt sich auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verständigen, habe die Politik weiter auf fossile Energien gesetzt und gesagt, deren CO2-Ausstoß könne später per CCS neutralisiert werden. Das könnte andere, echte EE-Projekte gefährden.

Weinhold: „CO2-Verpressung sollte nur im äußersten Notfall zum Einsatz kommen, weil damit einfach unkalkulierbare Risiken verbunden sind. CCS wird bisher vor allem in den USA und Norwegen eingesetzt. Ein großes CCS-Projekt startete der norwegische Energiekonzern Statoil 1996 im Sleipner-Gasfeld in der Nordsee. Statoil scheidet vor Ort jährlich knapp eine Million Tonnen des Gases ab und presst es in Gesteinsformationen oberhalb des Gasfeldes, um die Zahlung von hohen CO2-Steuern zu vermeiden. Untersuchungen im Jahre 2013 entdeckten Störungen im Gestein, sodass ein künftiger Gasaustritt aus dem Reservoir sehr wahrscheinlich ist.“ Die drei Häfen „sollten ihre Strategie überdenken“, verlangt Weinhold. „Viele energieintensive Industrien denken jetzt über die Umrüstung auf Wasserstoff nach, etwa Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor Mittal. Noch ist die Technologie teuer, aber wenn grüner Wasserstoff in großem Stil aufgebaut wird, ist die Wirtschaftlichkeit nur eine Frage der Zeit.“

„Wir müssen Kohlendioxid künstlich aus der Atmosphäre entfernen“, sagte Mattthes. Dabei spiele der Ozean eine wichtige Rolle. „Wir können ihn nutzen, um das aus der Atmosphäre entnommene und verflüssigte CO2 unter dem Ozeanboden zu verstauen“, sagte die Klimaforscherin.

Das Kuratorium des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hatte die Meteorologin  Katja Matthes einstimmig zur neuen Wissenschaftlichen Direktorin des GEOMAR bestellt. Matthes kam 2012 als Professorin für Meteorologie an die Kieler Einrichtung. Die gebürtige Berlinerin studierte an der Freien Universität Berlin Meteorologie und war im Anschluss an ihre Promotion mehrere Jahre am renommierten National Center for Atmospheric Research in Boulder/Colorado, USA, tätig. Im nächsten Schritt leitete sie eine Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe am Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches Geoforschungszentrum. 2011 wurde Katja Matthes auf eine W2-Professur für „Atmosphären-Hydrosphären Systeme“ an der Freien Universität Berlin berufen. 2012 folgte sie dann dem Ruf auf eine W3-Professur für Meteorologie am GEOMAR und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit 2018 leitet sie den Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik am GEOMAR. Frau Professorin Matthes ist Expertin auf dem Gebiet von Klimavariabilität und Klimaveränderungen, insbesondere dem Einfluss der Sonne auf das Klima. Sie ist Autorin bzw. Ko-Autorin von über 75 begutachteten Aufsätzen in wissenschaftlichen Fachjournalen, Mit-Autorin des aktuellen 6. IPCC-Berichtes und Mitglied in diversen nationalen wie internationalen Gremien. Ihre Forschungsarbeiten tragen zur genaueren Bestimmung des anthropogenen Klimaeinflusses und der Verbesserung von kurzfristigen Klimavorhersagen bei.

Sorge bereitet der Wissenschaftlerin laut SPIEGEL-Interview der Temperaturanstieg des Meerwassers um mehrere Grad. In der Ostsee sei das gesamte Ökosystem bedroht. Die Coronakrise sieht die Professorin als Chance, weil sie zeige, „wie schnell wir uns international koordinieren und vor Ort reagieren können“. In der Arktis seien bereits 77 Prozent des Meereises der Erderwärmung zum Opfer gefallen.

Matthes antwortete auf die Frage, ob die sogenannte Carbon Capture and Storage-Technik (CCS/CO2-Abscheidung und -Speicherung) sicher sei: „Das Thema ist in Deutschland so umstritten, dass man darüber nicht reden darf. Ich glaube aber, dass man darüber reden muss.“ Denn die Wissenschaftlerin hält die Erderwärmung für dramatisch. Eine Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes allein werde nicht genügen. Die 44-jährige gebürtige Berlinerin, seit 2012 am Kieler Helmholtz-Zentrum, tritt zum 1. Oktober die Nachfolge von Prof. Peter Herzig an. Seit 2018 leitet sie den Forschungsbereich Ozeanzirkulation und Klimadynamik.

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