Jahrzehntelange Fake-News der Ölindustrie

Erst 2015 enthüllt – jetzt wissenschaftlich belegt

„Wie ExxonMobil die Menschheit über den Klimawandel belog“, titelte die Wochenzeitung Die Zeit, nachdem am 12.01.2023 in Science eine überprüfende Bewertung aller Klimaprojektionen der fossilen Brennstoffindustrie erschienen war (PIK-Medienmitteilung: „verblüffend“). Diese waren bis dato noch nie wissenschaftlich abgeklopft worden. Auf der Grundlage von Unternehmensunterlagen haben drei WissenschaftlerInnen (Naomi Oreskes, Stefan Rahmstorf und Geoffrey Supran) alle verfügbaren Prognosen und Modellierungen von Exxon-Wissenschaftlern und ExxonMobil zur globalen Erwärmung, aber auch  die internen Prognosen des Unternehmens zwischen 1977 und 2003 zum ersten Mal systematisch und quantitativ ausgewertet.

Diesel-Auspuff – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

„Was ExxonMobil erstaunlich genau wusste, und was ExxonMobil dann bekanntlich leider tat, steht in scharfem Kontrast“, erklärt Stefan Rahmstorf vom PIK, Ko-Autor der Studie. „Eine Exxon-Projektion sagte sogar schon 1977 korrekt voraus, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe ein ‚kohlendioxidinduziertes Superinterglazial‘ verursachen würde. Das ist eine Warmzeit, die nicht nur viel wärmer ist als alles in der Geschichte der menschlichen Zivilisation, sondern sogar wärmer als die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren. Durch den unaufhörlichen Ausstoß von Treibhausgasen sind wir heute schon weit auf dem Weg dorthin.“

Diagramm aller von Exxon 1977-2003 erstellten Erwärmungsprognosen

In der ersten systematischen Bewertung der Klimaprognosen der fossilen Brennstoffindustrie überhaupt haben die Forschenden die Erkenntnisse der Klimawissenschaft, die Exxon schon vor Jahrzehnten hatte, mit Zahlen belegt: dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu einer globalen Erwärmung von 0,20 ± 0,04 Grad Celsius pro Jahrzehnt führen würde. Die Ergebnisse haben sie in einem Diagramm zusammengefasst, das alle von Wissenschaftlern von Exxon und der ExxonMobil Corp. zwischen 1977 und 2003 erstellten Prognosen zur globalen Erwärmung zeigt, beruhend auf statistischen Analysen bislang unveröffentlichter Daten aus unternehmenseigenen Dokumenten.

Bekannt war bereits, dass Exxon seit den 1970er Jahren von der Bedrohung durch die globale Erwärmung wusste. Die jetzt veröffentlichte Studie ist nun die erste quantitative Überprüfung der frühen Klimawissenschaft des Unternehmens. Vorherige Untersuchungen konzentrierten sich auf die widersprüchliche interne und externe Rhetorik von Exxon zum Klimawandel. Die neue Analyse untersucht die im Unternehmen vorliegenden Daten.

„Wir stellen fest, dass die meisten ihrer Projektionen eine Erwärmung vorhersagen, die mit späteren Beobachtungen übereinstimmt“, heißt es in dem Bericht. „Ihre Vorhersagen stimmten auch mit denen unabhängiger akademischer und staatlicher Modelle überein und waren mindestens so gut wie diese.“

Unter Verwendung etablierter statistischer Verfahren kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass 63-83 % der von den ExxonMobil-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erarbeiteten globalen Erwärmungsprognosen mit den später beobachteten Temperaturen übereinstimmten. Darüber hinaus wiesen die von den ExxonMobil-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern modellierten Projektionen einen durchschnittlichen „Skill Score“ (Maß der Vorhersagegüte) von 72 ± 6 % auf, wobei der höchste Wert bei 99 % lag. Das ist sogar deutlich besser als die Vorhersagen des bekannten NASA-Wissenschaftlers James Hansen zur globalen Erwärmung, die 1988 dem US-Kongress vorgelegt wurden.

„Öffentliche Erklärungen des Unternehmens […] widersprachen seinen eigenen wissenschaftlichen Daten“

Die Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die internen Analysen von „Exxon und ExxonMobil Corp. […] genau vorausgesagt haben, wann die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zum ersten Mal in den Messdaten festgestellt werden würde, und sogar das ‚Kohlenstoffbudget‘ für eine Begrenzung der Erwärmung auf unter 2° C realistisch abgeschätzt haben. In jedem dieser Punkte widersprachen die öffentlichen Erklärungen des Unternehmens zur Klimawissenschaft jedoch seinen eigenen wissenschaftlichen Daten.“

Die Studie verleiht den laufenden juristischen und politischen Ermittlungen gegen ExxonMobil zusätzliches Gewicht. „Diese Ergebnisse bestätigen und präzisieren die Aussagen von Wissenschaftlern, Journalistinnen, Anwälten, Politikerinnen und anderen, dass ExxonMobil die Bedrohung durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung sowohl vor als auch parallel zur Orchestrierung von Lobby- und Propagandakampagnen zur Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen genau vorhergesehen hat, und widerlegen die Behauptungen der ExxonMobil Corp. und ihrer Verteidiger, dass diese Aussagen falsch seien“, schreiben die Autorinnen und Autoren in der Studie.

„Dies ist der Sargnagel für die Behauptungen von ExxonMobil, dass das Unternehmen zu Unrecht der bewussten Klimavergehen beschuldigt wurde“, kommentiert Hauptautor Geoffrey Supran (von der Harvard University, seit Anfang 2023 Professor an der Rosenstiel School of Marine, Atmospheric and Earth Science der University of Miami). „Unsere Analyse zeigt, dass ExxonMobils eigene Daten im Widerspruch zu ihren öffentlichen Erklärungen stehen, in denen Unsicherheiten übertrieben, Klimamodelle kritisiert, der Mythos globaler Abkühlung verbreitet und Unwissenheit darüber vorgetäuscht wurde, wann – oder ob – die vom Menschen verursachte globale Erwärmung messbar sein würde, während man zum Risiko gestrandeter fossiler Investitionen schwieg.

Aus Science: „Insider-Wissen“

Jahrzehntelang versuchten einige Vertreter der Industrie für fossile Brennstoffe, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Klimaerwärmung hergestellt werden könne, weil die zur Prognose der Erwärmung verwendeten Modelle zu unsicher seien. Supran et al. zeigen in Science, dass ExxonMobils eigene interne Modelle eine Erwärmung prognostizierten, die mit den Prognosen der unabhängigen akademischen und staatlichen Modelle übereinstimmte. Was sie über Klimamodelle wussten, widersprach also dem, was sie der Öffentlichkeit vorgaukelten. (HJS)

Strukturierte Zusammenfassung – HINTERGRUND
2015 entdeckten Enthüllungsjournalisten unternehmensinterne Memos, aus denen hervorging, dass der Ölkonzern Exxon seit den späten 1970er Jahren darüber unterrichtet war, dass seine Produkte aus fossilen Brennstoffen zu einer globalen Erwärmung mit „dramatischen Umweltauswirkungen vor dem Jahr 2050“ führen könnten. Dann tauchten weitere Dokumente auf, aus denen hervorging, dass der größte Wirtschaftsverbund der US-amerikanischen Öl- und Gasindustrie ebenfalls seit mindestens den 1950er Jahren davon wusste, ebenso wie die Kohleindustrie seit mindestens den 1960er Jahren und die Stromversorger, der Ölkonzern Total sowie die Autokonzerne GM und Ford seit mindestens den 1970er Jahren. Wissenschaftler und Journalisten haben die in diesen Dokumenten enthaltenen Texte analysiert und qualitative Aussagen über das Wissen der Interessenvertreter fossiler Brennstoffe über die Klimawissenschaft und ihre Auswirkungen gemacht. 2017 haben wir beispielsweise gezeigt, dass die internen Dokumente von Exxon sowie die von Wissenschaftlern von Exxon und der ExxonMobil Corp. veröffentlichten und von Fachleuten begutachteten Studien mit überwältigender Mehrheit anerkennen, dass der Klimawandel real ist und vom Menschen verursacht wird. Im Gegensatz dazu wurden in der öffentlichen Kommunikation von Mobil und ExxonMobil Corp mehrheitlich Zweifel an diesem Thema geäußert.

FORTSCHRITTE
Viele der aufgedeckten Dokumente der fossilen Brennstoffindustrie enthalten explizite Projektionen über das Ausmaß der Erwärmung, die im Laufe der Zeit als Reaktion auf die steigenden Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre erwartet wurde. Diesen numerischen und grafischen Daten wurde jedoch nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Tatsächlich hat niemand systematisch die Klimamodellierungs-Prognosen von Unternehmen, die an fossilen Brennstoffen interessiert sind, überprüft. Was genau wussten die Öl- und Gasunternehmen, und wie genau war ihr Wissen? Wir gehen diesen Fragen nach, indem wir alle bekannten Prognosen zur globalen Erwärmung auflisten und analysieren, die von Wissenschaftlern von Exxon und ExxonMobil Corp. zwischen 1977 und 2003 dokumentiert und in vielen Fällen modelliert wurden.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass ExxonMobil in privaten und akademischen Kreisen seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren die globale Erwärmung korrekt und geschickt vorhersagte. Unter Verwendung etablierter statistischer Verfahren stellen wir fest, dass 63 bis 83 % der von ExxonMobil-Wissenschaftlern gemeldeten Klimaprognosen bei der Vorhersage der späteren globalen Erwärmung zutreffend waren. Die von ExxonMobil prognostizierte durchschnittliche Erwärmung betrug 0,20° ± 0,04°C pro Jahrzehnt, was innerhalb der Unsicherheitsgrenze mit den zwischen 1970 und 2007 veröffentlichten Prognosen unabhängiger Wissenschaftler und Regierungen übereinstimmt. Der durchschnittliche „Skill Score“ und der Grad der Unsicherheit der Klimamodelle von ExxonMobil (67 bis 75% bzw. ±21%) waren ebenfalls ähnlich wie bei den unabhängigen Modellen.
Darüber hinaus zeigen wir, dass die Wissenschaftler von ExxonMobil die Möglichkeit einer kommenden Eiszeit zu Gunsten einer „kohlendioxidbedingten ‚Superinterglaziale'“ richtig abgetan haben; dass sie genau vorausgesagt haben, dass die vom Menschen verursachte globale Erwärmung erstmals im Jahr 2000 ± 5 nachweisbar sein würde; und dass sie vernünftig geschätzt haben, wie viel CO2 zu einer gefährlichen Erwärmung führen würde.

AUSBLICK
Heute verklagen Dutzende von Städten, Landkreisen und Bundesstaaten Öl- und Gasunternehmen wegen ihrer „langjährigen internen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen des Klimawandels und ihrer Täuschungskampagnen in der Öffentlichkeit“. Das Europäische Parlament und der US-Kongress haben Anhörungen abgehalten, US-Präsident Joe Biden hat sich verpflichtet, die Unternehmen für fossile Brennstoffe zur Rechenschaft zu ziehen, und unter dem Namen #ExxonKnew ist eine soziale Graswurzelbewegung entstanden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ExxonMobil schon vor Jahrzehnten nicht nur „etwas“ über die globale Erwärmung wusste – sie wussten genauso viel wie akademische und staatliche Wissenschaftler. Doch während diese Wissenschaftler daran arbeiteten, ihr Wissen zu kommunizieren, bemühte sich ExxonMobil, es zu leugnen – einschließlich der Überbetonung von Unsicherheiten, der Verunglimpfung von Klimamodellen, der Mythologisierung der globalen Abkühlung, der Vortäuschung von Unwissenheit über die Erkennbarkeit der vom Menschen verursachten Erwärmung und des Schweigens über die Möglichkeit gestrandeter fossiler Brennstoffe in einer kohlenstoffbeschränkten Welt.

Exxon bestreitet eisern die Erkenntnisse

ExxonMobil wies die Berichte zurück – Unternehmenssprecher Todd Spitler erklärte, das Thema sei in den vergangenen Jahren mehrfach aufgekommen – die Antwort von ExxonMobil bleibe dieselbe: „Jene, die darüber sprechen, wie ‚Exxon Bescheid wusste‘, liegen mit ihren Schlussfolgerungen falsch.“ In der Vergangenheit sei versucht worden, die Position des Unternehmens zur Klimawissenschaft und dessen Unterstützung für politische Lösungen falsch darzustellen. Gut gemeinte interne Debatten seien ins Licht einer Desinformationskampagne gerückt worden.

Solarify bkickt zurück
„Big Oil’s böser, böser Tag“
Lesehinweis auf Artikel von Bill McGibben im New Yorker

Die vernichtenden Schläge gegen drei der größten Ölkonzerne der Welt haben deutlich gemacht, dass die Argumente, die viele seit Jahrzehnten vorgebracht haben, auf höchster Ebene angekommen sind. In dem vielleicht bisher katastrophalsten Tag für die traditionelle fossile Brennstoff-Industrie hat eine bemerkenswerte Reihe von Aktionärsabstimmungen und Gerichtsurteilen die Zukunft von drei der größten Ölkonzerne der Welt durcheinander gebracht – schreibt Bill McKibben am 26.05.2021 im New Yorker.

: Exxon wusste schon vor fast 40 Jahren vom Klimawandel
Großangelegte Desinformation über Jahrzehnte

Eine … Untersuchung von Inside Climate News zeigt, dass die Ölgesellschaft die wissenschaftlichen Erkenntnisse verstanden hatte, bevor sie zu einem öffentlichen Thema wurden und schon lange Millionen ausgab, um Fehlinformationen fördern, schreibt Shannon Hall im Scientific American. Das Wissen des Unternehmens über den Klimawandel stammt aus dem Juli 1977, als sein leitender Wissenschaftler James Black dem Vorstand eine ernüchternde Nachricht zum Thema übermittelte.

ExxonMobil straffällig?

Bereits seit November 2015 ermittelt der Generalstaatsanwalt von New York, inwieweit der US-Ölkonzern ExxonMobil sich strafbar gemacht hat, weil er die Öffentlichkeit über die Ursachen und Folgen des Klimawandels belogen hat. Kein anderer Konzern hat in dieser Hinsicht so viel Geld so schamlos in den offensichtlich bösartigen Zweck der Desinformation gelenkt wie ExxonMobil. Entscheidend ist aber das glasklare Wissen der Verantwortlichen um das Lügenhafte dieser Tätigkeit, das von den Studien der 70er Jahre belegt wird. Nun verklagt die Stadt New York fünf fossile Unternehmen wegen ihres Beitrags und dessen Vertuschung zur gefährlichen globalen Erwärmung – siehe: solarify.eu/nyt-und-guardian-ny-contra-oel-multis.

Aber selbst wenn ein Gericht die Schuld der Öl-Multis einwandfrei feststellt – ExxonMobil und die anderen sind für mindestens zwei Jahrzehnte Verzögerung im Kampf gegen den Klimawandel verantwortlich – wie das sühnen? Wenn der Konzern mit seinem ganzen Vermögen haften würde (die Summe aller Aktiva betrug 2014 knapp 350 Mrd. Dollar), um wenigstens Promille-Anteile des angerichteten Schadens zu begleichen – was würde das für die Wirtschaft der USA bedeuten?

Exxon hat „Wissenschaftler“ wie Wei-Hock Soon vom Harvard-Smithsonian Astrophysical Observatory von 2005 bis 2010 mit mehr als 300.000 Dollar verdeckt „unterstützt“, um klimaskeptische Forschungen durchzuführen, die als „unabhängig“ deklariert wurden (s. solarify.eu/exxon-bezahlte-klimaleugner). Das Ziel dieses Vorgehens bestand nicht darin, die Klimadebatte zum Verstummen zu bringen; dies schien unmöglich. In einem Strategiepapier („Global Climate Science Communications Plan“) des American Petroleum Institute aus dem Jahr 1998 wurde das Ziel klar benannt: „Der Sieg wird errungen werden, wenn durchschnittliche Bürger ‚wissen‘ (anerkennen), dass es Ungewissheiten in der Klimawissenschaft gibt; wenn die Anerkennung von Ungewissheiten Teil der ‚vorherrschenden Meinung‘ wird.“ („Victory will be achieved when average citizens „understand“ (recognize) uncertainties in climate science; recognition of uncertainties becomes part of the „conventional wisdom.“) Dasselbe sollte bei den Medien und bei Wirtschaftsführern bewirkt werden.

Die letzte Zielmarke für die Erringung des Sieges sollte erreicht sein, wenn „jene, die das Kyoto-Protokoll auf der Basis noch bestehender Wissenschaft verteidigen, als wirklichkeitsfremd erscheinen.“ („Those promoting the Kyoto treaty on the basis of extent science appears to be out of touch with reality.“) Im American Petroleum Institute arbeitete Exxon mit den anderen großen Erdölkonzernen zusammen. Im Oktober 2015 brachten zwei Reportagen, die unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Archivquellen arbeiteten, diesen Skandal ans Licht (s. solarify.eu/exxon-wusste-schon-vor-fast-40-jahren-vom-klimawandel). Unter anderem hatten Studenten der Columbia Journalism School mit der Los Angeles Times zusammengearbeitet, um zwei der von ExxonMobil unterdrückten Studien dem Vergessen zu entreißen. (solarify.eu/2018/01/17/594-klimaskepsis-fake-news-und-rechtspopulismus-sind-eine-braune-sauce/)

->Quellen: