Linke: Regierung soll Kohleausstieg einleiten

Begründung

Die historische Klimaschutzaufgabe

Ob die Ergebnisse des Pariser Klimaschutzabkommens vom Dezember letzten Jahres tatsächlich historisch sein werden oder nur weiteres nutzlos bedrucktes Papier, wird im Wesentlichen davon bestimmt werden, welche konkreten Anstrengungen die einzelnen Staaten unternehmen, um die Ziele des Abkommens zu erfüllen. Hierbei kommt der Bundesrepublik eine besondere Verantwortung zu. Zum einen, weil Deutschland im weltweiten Vergleich einen hohen CO2-Ausstoß pro Kopf aufweist und damit zu den Hauptverursachern des Klimawandels zählt. Und zum anderen, weil die Bundesrepublik aufgrund ihrer Wirtschaftskraft und ihres technologischen Knowhows zu den wenigen Industriestaaten gehört, die vom Potential her in der Lage sind, die Energiewende hin zu einer vollständig regenerativen Erzeugung mit all ihren Elementen in der Erzeugungs und Infrastruktur technisch, ökonomisch und sozial ohne unakzeptable Verwerfungen zu vollziehen und dies in überschaubarer Zeit. Gelänge dies er Übergang noch deutlich vor 2050, und würden die technischen, ökonomischen und sozialen Innovationen auf dem Weg dahin weltweit sichtbar, so wäre dies ein wahrhaft historischer Beitrag Deutschlands dafür, andere Länder zu ermutigen bzw. überhaupt erst in die Lage zu versetzen, einen ähnlichen Weg zu gehen. Unter anderem deshalb, weil die Bundesrepublik Technologie-Lernkurven finanziert, die es auch ärmeren Staaten ermöglicht, regenerative Erzeugungsanlagen preiswert einzusetzen. Im Kampf gegen die Erderwärmung würde so die Einhaltung des globalen 2-Grad -Ziels bzw. möglichst des 1,5-Grad -Ziels des Pariser Abkommens deutlich realistischer.

Das Deutsche Energiewendeparadox

Die Energiewende in Deutschland kommt jedoch zusehends ins Stocken. Gleichwohl in der Bundesrepublik infolge des Ausbaus der erneuerbaren Energien mittlerweile fast jede dritte Kilowattstunde Ökostrom ist, stieg der Umfang der klimaschädlichen Kohleverstromung in der Bundesrepublik im Trend der letzten Jahre wieder an. Die Bruttostromerzeugung aus Kohle lag im Jahr 2015 mit 273 Terawattstunden (TWh) 8 Prozent höher als 2009. Die besonders emissionsintensive aber betriebswirtschaftlich preiswerte Braunkohle wurde im Jahr 2015 mit 155 TWh gar auf einem Niveau verstromt, das rund 12 Prozent höher lag als 1998. Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung war der stetig wachsende Stromexport. Mit 61 TWh (auf Basis der Handelsflüsse) erzielte die deutsche Stromwirtschaft 2015 einen neuen Rekord-Nettoexportüberschuss. Damit wurde der b isherige Rekordsaldo von 2014 (40,3 TWh ) nochmals um 50 Prozent gesteigert. Per Saldo exportierte Deutschland im Jahr 2015 rund zehn Prozent des hierzulande produzierten Stroms. Diese Entwicklung schlägt sich auch in der deutschen Treibhausgasbilanz nieder. Die CO2-Emissionen der Stromerzeugung lagen 2014 bei rund 308 Mio. t – und damit rund 7 Mio. t höher als 2009. Die ohnehin existierende Lücke zur Erfüllung des 40-ProzentMinderungsziels für Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990 in Höhe von rund 5 Prozentpunkten droht sich mit diesem Trend weiter zu vergrößern.

Emissionshandel versagt als Regulierungsinstrument

Eigentlich sollte der EU-Emissionshandel das Hauptinstrument dafür sein, die fossile Stromerzeugung schrittweise zurück zu drängen. Dieser hat jedoch aus unterschiedlichen Gründen versagt. Durch seine fehlerhafte Ausgestaltung sind der Vergangenheit eine enorme Menge überschüssiger CO2-Zertifikate aufgelaufen, die nicht benötigt werden. So macht allein der Zufluss von Gutschriften aus zweifelhaften Klimaschutzprojekten im globalen Süden im Clean Development Mechanism (CDM) etwa 1,6 Mrd. der 2 Mrd. Überschüsse an Emissionsberechtigungen aus, ist also Hauptursache für die Krise des Handelssystems. Von diesen 1,5 Mrd. sind nach Schätzungen etwa die Hälfte faul – hinter ihnen stehen keine zusätzlichen Treibhausgaseinsparungen im globalen Süden. Weitere Ursachen der derzeitigen Zertifikatsschwemme sind Überzuteilungen an die Industrie sowie die Wirtschaftskrise 2008/09. Die Überschüsse lassen nicht nur die Preise in den Keller stürzen – seit Monaten kostet eine Tonne CO2 nur so viel wie ein oder zwei Brote beim Bäcker statt der ursprünglich erwarteten 25 bis 30 Euro je Emissionsrecht –, sie können auch zu einem zusätzlichen Klimagasausstoß in Höhe der faulen CDM-Emissionsgutschriften aus dem globalen Süden führen. Das sind jene rund 800.000 t CO2, hinter denen keine zusätzlichen Emissionsminderungen stehen.

Die geplanten Reformen des EU-Emissionshandels werden dieses Problem nicht lösen. So sieht etwa die in der EU beschlossene Marktstabilitätsreserve vor, ein en Teil des im Umlauf befindlichen Überschusses an CO2-Zertifikaten vom Markt zu nehmen. Sie wird aber lediglich dazu führen, dass der Überschuss frühestens gegen Ende der 20er Jahre soweit gefallen sein könnte, dass jene Knappheit herrscht, die CO2-Preise mit einer relevanten Lenkungswirkung für den Brennstoffeinsatz im fossilen Kraftwerkspark oder für Energieeinsparinvestitionen in der Wirtschaft erzeugt. Es ist davon auszugehen, dass die CO2-Preise bis dahin deutlich unter 20 Euro je Tonne CO2 liegen werden. Ohnehin würden selbst 25 bis 30 Euro je Tonne C O 2 nicht ausreichen, um die Braunkohleverstromung einzudämmen. Denn rein betriebswirtschaftlich gehört die Braunkohleförderung und -verstromung zu den billigsten Stromerzeugungsarten. Aufgrund dieser geringen Kosten wären – je nach Wirkungsgrad der Anlagen und Kostenentwicklung der Brennstoffkosten – CO2-Preise zwischen 40 und 80 Euro je Tonne erforderlich, damit sich die Einsatzreihenfolge im Kraftwerkspark zu Lasten der Braunkohle dauerhaft ändert, also an der Strombörse an Stelle von Strom aus Braunkohle Elektrizität aus weniger emissionsintensiven Steinkohle oder Gaskraftwerken gekauft wird. Dies ist das Acht bis Sechzehnfache der gegenwärtigen CO2-Preise und immer noch ein Vielfaches jener Zertifikatspreise, die durch einen reformierten EU-Emissionshandel zu erwarten wären.

Emissionshandelspreise, die die Braunkohle aus dem Markt drängen, sind also nicht zu erwarten. Insofern würde insbesondere die Braunkohle in Deutschland ohne ein neues regulierendes Instrument neben oder alternativ zum EU -Emissionshandel noch bis mindestens Mitte des nächsten Jahrhunderts eine wesentliche Rolle im deutschen Ener giemix spielen. Das aber würde nicht nur das Erfüllen der nationalen Klimaschutzziele gefährden. Es würde der Bundesrepublik gleichzeitig auch die Umstellung auf ein vollständig regeneratives Energiesystem mit all den dafür erforderlichen Elementen (Flexibilität über Netze, Speicher, Lastmanagement, Smart Grids, Verbindung von Strom und Wärmemarkt etc.) unmöglich machen. Bereits der Übergangsprozess würde extrem erschwert, da der betriebswirtschaftlich preiswerte Braunkohlestrom absurderweise genau jene Arten der Erzeugung und Leistungsbreitstellung aus dem Markt drängt, die wegen ihrer hohen Flexibilität als Backup-Kraftwerke für die Energiewende dringend gebraucht werden: Gaskraftwerke sowie später auch Stromspeicher. Kurzum, das Beispiel Deutschland, wie der Übergang zu einem energetisch regenerativen Wirtschaftssystem funktionieren könnte, würde schlicht nicht stattfinden. Eine historische Chance einmaliger globaler Verantwortung wäre verspielt. Im Übrigen müssten CO2-Preise in einer Höhe, die die Braunkohle aus der Verstromung drängen würden, durch einen drastischen Strompreiseffekt erkauft werden. Dieser würde zwar abgemildert dadurch, dass sich die EEG Dif ferenzkosten und damit die EEG-Umlage entsprechend vermindern. Er würde aber netto immer noch etwa bis zu 4 Cent je Kilowattstunde betragen. DIE LINKE bleibt darum auch aus sozialer Sicht bei ihrem Vorschlag eines Kohleausstiegsgesetzes.

Folgt: Kohleausstiegsgesetz schafft endlich Planungssicherheit