Zweiter Diesel-Gipfel mit Kommunen im Kanzleramt – Lob und Kritik

Frage: Ich habe zwei Fragen, wenn es recht ist. Es haben jetzt alle von intensiven Gesprächen geredet, Sie, Herr Kuhn, auch von strittigen Fragen. Herausgehört habe ich jetzt aber eigentlich nur die blaue Plakette. Haben Sie sich also eigentlich nur über die blaue Plakette gestritten, oder was waren die strittigen Fragen? Frau Bundeskanzlerin, es gab ja gestern innerhalb Ihrer Regierung einen heftigen Streit rund um die Frage der Zulassung von Glyphosat. Die SPD spricht von einem Vertrauensbruch des Landwirtschaftsministers. Müssten Sie Herrn Schmidt eigentlich entlassen?

BK’in Merkel: Nach meiner Wahrnehmung waren die intensiven Gespräche die über die Ausgestaltung des Sofortprogramms. Dabei ist honoriert worden, wie es ja hier auch gesagt wurde, oder goutiert worden, dass wir von einem unmittelbaren Förderbeginn sprechen können.

  1. Das heißt, ab morgen stehen Mittel zur Verfügung.
  2. Zweitens ging es um die Komplexität der Anträge. Hierbei helfen, glaube ich, die Lotsen.
  3. Drittens ging es um die Kofinanzierungsnotwendigkeiten. Hierfür konnten wir noch keine die Kommunen völlig zufriedenstellende Lösung erreichen. Richtig zufriedenstellend wäre sie sicherlich auch erst, wenn wir gar keine Kofinanzierung mehr hätten.
  4. Viertens ging es um die Kumulation von Länder- und Kommunalprogrammen. Hier haben wir uns dafür eingesetzt, dass wir das regeln wollen. Das ist heute verboten, aber in diesem speziellen Fall ist das notwendig. Dann ging es um die Frage der Verstetigung der Mittel. Hierfür haben wir eine politische Zusage gemacht, aber eine rechtlich bindende können wir nicht machen, weil es noch keine Haushaltsberatungen hinsichtlich der nächsten Jahre gab.

Dann ging es um den sozusagen nicht anwesenden Elefanten im Raum, also die Automobilindustrie, die ja sozusagen im Rahmen des Nationalen Forums Diesel arbeitet. Hier war der Wunsch der Kommunen doch sehr stark, zu hören: Was passiert eigentlich bei der Software-Umrüstung? Da findet ja etwas statt. Die Kunden werden alle einzeln angeschrieben. Oberbürgermeister Kuhn sagte, davon bekomme man in der Öffentlichkeit nicht viel mit, aber davon würden uns die Hersteller beim nächsten Mal berichten. Zweitens: Wie wirken die Kaufprämien? Drittens: Wie ist es mit der Hardware-Nachrüstung? – Hinsichtlich der Hardware-Nachrüstung ist aber zwischen Bund und Ländern im Rahmen des Nationalen Forums Diesel vereinbart worden, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde, dass eben erst im Dezember vorliegen wird. Das ist nicht allzu weit entfernt, aber heute ist einfach noch nicht Dezember. Deshalb kann erst im Januar darüber gesprochen werden, was man jetzt mit den Ergebnissen dieses Gutachtens macht. Ich schließe nicht aus, dass es selbst bei Vorliegen des Gutachtens noch einmal Dissonanzen oder Kontroversen darüber geben wird, was das dann für die wirkliche Nachrüstung bedeutet.

Oberbürgermeister Reiter aus München hat auch gesagt „Innerhalb welches Zeitraums und zu welchem Preis kann dann eigentlich nachgerüstet werden?“, denn die Zeit drängt, wie gesagt, und es geht um sehr viele Mittel. Das waren, glaube ich, die Kontroversen jenseits der blauen Plakette. Aber im produktiven Sinne war es eine gute und auf den Punkt orientierte Diskussion.

[note Jetzt zu dem gestrigen Abstimmungsverhalten des Landwirtschaftsministeriums in Sachen Glyphosat: Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet worden war. Obwohl ich in der Sache – anders als Frau Hendricks – mehr bei Bundesminister Schmidt bin, entspricht das Verhalten nicht dem, dass wir in der Geschäftsordnung der Bundesregierung vereinbart haben. Dies gilt auch für eine geschäftsführende Bundesregierung. Es hat innerhalb der Bundesregierung in den letzten vier Jahren schmerzlichste Prozesse gegeben, in denen Enthaltungen notwendig waren, obwohl das den Ministern persönlich sehr, sehr wehgetan hat. Ich nenne zum Beispiel Frau Schwesig im Zusammenhang mit der Frauenquote in der Europäischen Union – darüber habe ich sehr, sehr viele Gespräche geführt -, und sie hat sich an diese Enthaltung gehalten. Deshalb erwarte ich auch, dass sich ein solches Vorkommnis nicht wiederholt. Ich habe heute mit Minister Schmidt gesprochen, und der Chef des Bundeskanzleramtes wird noch einmal darauf hinweisen, dass diese Dinge im Rahmen der geschäftsführenden Bundesregierung genauso einzuhalten sind. Es gibt manchmal Dinge, die nicht in Ordnung sind. Es gab jüngst einmal eine Kontroverse zwischen Ministerin Hendricks und dem Vizekanzler. In dieser Kontroverse könnte ich mich der Seite von Ministerin Hendricks anschließen. Aber das ist etwas, das sich nicht wiederholen darf.

Frage: Direkt noch einmal dazu nachgefragt: Wenn Sie jetzt sagen, das dürfe sich nicht wiederholen – so eine Entscheidung steht ja in den nächsten Wochen ohnehin nicht noch einmal an -, würde mich schon interessieren, ob es darüber hinaus irgendwelche Konsequenzen gibt. Darf also jeder Minister einfach gegen die Verträge und die Geschäftsordnung verstoßen, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen hat, oder müssten Sie ihn nicht eigentlich entlassen, wenn er sich klar über die Weisung hinweggesetzt hat? Kann man das ohne Konsequenzen stehen lassen?]

Noch einmal kurz zu dem anderen Thema, der einen Milliarde: Mir ist etwas noch nicht klar. Die Autoindustrie hat ihre 250 Millionen Euro noch gar nicht komplett; da fehlen ja noch mehr als 100 Millionen Euro. Übernimmt der Bund das erst einmal, oder bleibt die Lücke bestehen? Reden wir also in Wirklichkeit nur über 850 Millionen Euro? Zum Anteil des Bundes: Woher kommt das Geld eigentlich? Im Haushalt gibt es ja jetzt keinen so großen Spielraum, und einen neuen gibt es noch nicht. Sind das also nicht sozusagen erst einmal nur Versprechen, die Sie hier machen, die eigentlich der nächste Bundestag einlösen muss?

BK’in Merkel: Wir glauben, dass wir das im Rahmen der Haushaltsplanung 2018 realisieren können, vorrangig auch durch Priorisierung im Energie- und Klimafonds. Hier kann man umschichten. Hier gibt es Programme, in deren Rahmen die Mittel auch nicht so gut ablaufen, wie wir es uns eigentlich dachten. Insofern sind die Förderprogramme schon unterlegt. Ich glaube, seitens der Wirtschaft – da müsste mich Frau Hendricks vielleicht ergänzen – fehlen nicht mehr 150 Millionen Euro, aber es fehlt noch Geld. Trotzdem haben wir uns heute dazu bereit erklärt, auf Wunsch der Kommunen hin zu sagen: Wir stehen für diesen Rahmen von 1 Milliarde Euro ein, werden aber bei der Automobilindustrie Druck machen, dass das privat zugesagte Geld auch wirklich bei uns ankommt.

[note Ich komme noch einmal zurück zu den Dingen, die Sie benannt haben und die gestern nicht richtig gelaufen sind. Ich sage noch einmal: Ich werde mit Nachdruck darauf hinweisen. Es gibt bei etwa einem Viertel bis einem Drittel der Abstimmungen in Brüssel Enthaltungen, weil es keine Einigkeit zwischen den Ressorts gibt. Dies ist also sicherlich ein sehr prominenter Fall, aber ein Fall, der fast täglich oder sehr häufig auftaucht. Deshalb habe ich den Kanzleramtsminister gebeten, wirklich noch einmal darauf hinzuweisen, dass diese Geschäftsordnung gelten muss. Ansonsten ist ein gedeihliches, gemeinsames Arbeiten in der Bundesregierung nicht möglich. Das ist genau so wie bei Ressortabstimmungen. So müssen wir uns auch in Europa verhalten. Im Übrigen sind wir sonst auch keine verlässlichen Partner.
Insbesondere – auch wenn das etwas im Bereich der Spekulation liegt – da sich das Europäische Parlament parteiübergreifend auf eine Frist von fünf Jahren verständigt hatte, allerdings dann mit einem automatischen Auslaufen der Genehmigung für Glyphosat, war sowieso zu erwarten – so sage ich es jetzt einmal, obwohl wir es nicht nachweisen können -, dass die Kommission ihrerseits noch einmal eine eigene Entscheidung trifft. Insofern ist dieses Auseinanderfallen innerhalb der Bundesregierung aus meiner Sicht besonders bedauerlich, wenngleich ich inhaltlich auf der Seite von Minister Schmidt war. Aber es geht hierbei um Verfahrensfragen.]

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben Gutachten bezüglich der Nachrüstungen in Auftrag gegeben beziehungsweise angekündigt, die im Januar zur Ergebnissen kommen sollen. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Autoindustrie später diese Nachrüstungen bezahlen wird, zumal sie bei dem ersten Dieselgipfel zurückgewiesen hatte, diese zu bezahlen? Ich meine technische Nachrüstungen, die auch teurer sind als nur reine Softwarenachrüstungen.

BK’in Merkel: Ich habe von keiner Gewissheit gesprochen. Ich habe gesagt, dass ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde, weil die einen gesagt haben „Das geht“ und die anderen „Das geht nicht“ gesagt haben. Dann gab es noch unterschiedliche Meinungen über die Preise. Daraufhin hat man sich auf die Gutachter geeinigt. Mir wird gesagt, dass das Ergebnis dieses Gutachtens im Dezember vorliegt. Dann ist aber nicht gesagt – das habe ich ja auch gesagt -, dass anschließend die politische Bewertung – Was macht man jetzt damit? Inwieweit ist die Autoindustrie bereit, diese Hardwarenachrüstung vorzunehmen? Wie sinnvoll ist das? – durchaus nicht wieder auseinanderfallen kann. Aber ohne das Gutachten kann man an dieser Stelle gar nicht weiter arbeiten. Frau Hendricks versteht von den Gutachten noch mehr als ich.

BM’in Hendricks: Es geht bei dem Gutachten tatsächlich darum, welche Automobiltypen überhaupt nachrüstungsfähig sind, und zwar unter technischen Gesichtspunkten. Aber selbstverständlich muss man das auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sehen. Es muss ja auch im Verhältnis zur absehbaren Lebensdauer eines Automobils stehen, ob man Finanzmittel – Ja oder Nein – einsetzt. Auch das ist ein Punkt, den man bewerten muss. Ganz entscheidend ist, dass die Automobilindustrie, sofern es möglich ist, tatsächlich nachzurüsten, zunächst einmal die Motordaten zur Verfügung stellt, denn sonst kann man ja nicht nachrüsten. Es gibt mittlerweile ziemlich viele Automobilzulieferer, die sich eine Nachrüstung zutrauen und das ohne die Hersteller könnten. Dafür brauchen sie aber die Motordaten, denn sonst geht das rein technisch nicht.

Als nächstes kommt die Frage: Wer bezahlt das dann? Das ist die Frage, die Sie gerade gestellt haben, Herr Trautfetter. In der Tat: Meine Auffassung bleibt unverändert. Die deutsche Automobilindustrie hat das als Hersteller verursacht und muss den Schaden von den Käufern abwenden. Wenn man in Deutschland auf Dauer vermeiden will, dass es wegen eines Wertverlustes sozusagen individuelle Entschädigungsansprüche gibt, dann muss man dem Wertverlust entgegenarbeiten. Das geht nur durch solche Nachrüstungen, die garantieren, dass man keine Einschränkungen hat.

Frage: Für einen Teil der Maßnahmen werden Förderrichtlinien gebraucht. Welcher Teil des Geldes oder dieser Milliarde kann sofort umgesetzt werden, und für welchen Teil müssen diese Förderrichtlinien noch erarbeitet werden?

BK’in Merkel: Mir liegen die einzelnen Facetten jetzt nicht vor. Es gibt aber für sehr viele Förderrichtlinien, und für den Rest liegen sie bis zum 1. Januar 2018 vor. Es kann also jetzt der Antrag gestellt werden; das ist nicht das Problem. Es gibt auch Anträge von den Städten in Bezug auf die Masterpläne. 58 Städte haben bereits Masterpläne für die digitale Umstellung der Logistik ihrer Verkehrssysteme und dessen, was man mit Digitalisierung machen kann, entwickelt. Die werden noch dieses Jahr genehmigt, damit diese Masterpläne erstellt werden können. Dann haben wir heute auf nachdrückliche Bitte der Kommunen gesagt: Wir werden nicht erst ab Mitte des Jahres die 400 Millionen Euro, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung enthalten sind, zur Verfügung stellen, sondern sobald die Masterpläne vorliegen.

Wir werden auch – das war noch ein Wunsch der Kommunen – schauen, wie weit wir die Dinge deckungsfähig halten, damit es nicht so starre Säulen der einzelnen Programme gibt. Nehmen wir einmal an, es gibt nicht so viele Busse. Dann können Sie nicht für die Busförderung etwas machen. Nehmen wir einmal an, Herr Müller hat das freudige Erlebnis, dass man plötzlich Taxameter in Hybridautos einbauen kann. Dann hätten wir natürlich sofort einen Durchbruch Richtung Berlin. Wir müssen dann auch noch schauen – es gibt 90 Kommunen, die alle ihre eigenen Vorschläge machen -, dass wir eine gewisse gerechte Verteilung hinbekommen. Ich glaube, wir kommen mit der Zusage, dass das nicht mit Ende des Jahres 2018 vorbei ist, sondern dass das jetzt mindestens auf drei, vier, fünf Jahre gemacht werden muss, dann auch hin. Wir müssen jetzt erst einmal die ersten Erfahrungen sammeln, wie das alles abläuft. Dann wird man weiter sehen. Heute hat mir ein Oberbürgermeister angeboten, mit ihm zusammen einen Förderantrag auszufüllen, um einmal zu erleben, wie kompliziert das ist. Ich war fast schon bereit, mich darauf einzulassen.

BM’in Hendricks: Um ehrlich zu sein: Die Oberbürgermeister tun das auch nicht selbst.

MP Haseloff: Die haben gute Leute, die das machen.

BK’in Merkel: Danke schön!

Folgt: DUH: Merkel kuscht vor Autokonzernen – Diesel-Fahrverbote nach gescheitertem Diesel-Gipfel noch wahrscheinlicher