DIW: Kernenergie weltweit Auslaufmodell

Länder mit angeblich unterschriebenen Lieferverträgen beziehungsweise festen Neubauplänen

Neben den vier Ländern mit Neubauten führt die WNA weitere Kategorien von Ländern, in denen angeblich bereits unterschriebene Lieferverträge bestehen (contracts signed) beziehungsweise es feste Pläne zum Bau von Atomkraftwerken gibt (committed plans) (Tabelle 1). Nach aktuellem Stand fallen Polen und Ägypten in die erstgenannte Kategorie, Jordanien und Usbekistan in die zweite. Auch hier bestehen, mit Ausnahme von Polen, die Geschäftsbeziehungen mit Rosatom.

In Polen wurde der Bau des AKW Zarnoviec mit sowjetischer Technologie im Jahr 1989 abgebrochen. Seitdem erscheint Atomkraft zwar in einigen energiewirtschaftlichen Szenarien, jedoch liegen keine konkreten Pläne zum Bau beziehungsweise verbindliche Verträge vor17.

Ägypten verfolgt angeblich seit den 90er-Jahren Pläne zum Aufbau einer Atomwirtschaft. Jedoch führte erst das Angebot von Rosatom, vier Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von 4,8 GW am Standort Dabaa, 100 Kilometer nördlich von Kairo, fast vollständig zu finanzieren, zu ernsthaften Verhandlungen. Laut Rosatom sind alle nötigen Dokumente zum Erhalt der Baugenehmigung eingereicht, deren Erteilung im Laufe des Jahres 2020 erwartet wird. Die russische Seite würde auch hier einen wesentlichen Teil der Finanzierung übernehmen und 25 der insgesamt 30 Milliarden US-Dollar Baukosten finanzieren sowie die Bereitstellung des Brennstoffs sichern und den Betrieb und den Unterhalt des Kraftwerks übernehmen. Der weitere Verlauf des Prozesses ist jedoch unklar. Aktuell wird von externen Beobachtern bezweifelt, ob die ägyptische Aufsichtsbehörde für Atomenergie über die personellen und technischen Kapazitäten verfügt, das Bauprojekt durchzuführen18.

In Jordanien wurde eine Kooperation zwischen der Jordan Atomic Energy Commission (JAEC) und Rosatom aus dem Jahr 2014 inzwischen wegen fehlender Erfolgsaussichten abgebrochen19. Hier hatte die russische Seite keine weitgehende Finanzierung des Kraftwerks angeboten. Überlegungen der JAEC zum Kauf eines Mini-Atomkraftwerks (small modular reactor, SMR) sind in einem sehr frühen Stadium.

Auch Usbekistan wäre auf Atomtechnologie und Finanzierung von Rosatom angewiesen. So sollten nach der Gründung der Agentur für Atomkraft (Uzbek Agency for Nuclear Energy) konkrete weitere Schritte erfolgen. Jedoch sind Zeitplan und Ausgestaltungsdetails derzeit noch unklar20.

Weitere Länder mit angeblichen Einstiegsplänen

AKW Isar 2, Ohu, Bayern – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die WNA führt darüber hinaus die Kategorie von Ländern mit angeblich weit entwickelten Einstiegsplänen (well-developed plans) (Tabelle 1). Hierunter fallen derzeit Indonesien, Kasachstan, Litauen, Saudi-Arabien, Thailand und Vietnam. Jedoch scheinen diese Pläne in den meisten Fällen nicht über grobe Absichtserklärungen hinauszugehen. Auch der Fortschritt des Atomprogramms in Saudi-Arabien ist unklar: Zwar liegen auch hier Angebote von Russland und von vier anderen Anbietern (aus Südkorea, China, in den USA und Frankreich) vor, jedoch gibt es keinen verbindlichen Zeitplan21.

Des Weiteren führt die WNA noch eine Liste von Ländern, welche angeblich Entwicklungspläne für Atomkraft verfolgen (developing plans). Dies sind derzeit Algerien, Äthiopien, Ghana, Kenia, Laos, Marokko, Nigeria, die Philippinen sowie Ruanda. Darüber hinaus werden 22 Länder genannt, in denen Atomkraft als Option der Energiepolitik diskutiert würde (discussion as policy option). In weiteren 15 Ländern fänden aktuell keine Diskussionen über einen Einstieg in die Atomkraft mehr statt (Tabelle 1).

Insgesamt fällt die Bilanz der möglichen Newcomer sehr dünn aus. Von den vielen Ländern wird nur in vier konkret der Bau je eines Atomkraftwerks betrieben. In allen anderen Ländern gibt es zwar eine Reihe von Kooperationsabkommen, jedoch keine konkreten Baupläne. Die im Bau befindlichen Kraftwerkskapazitäten der Neueinsteiger liegen mit elf GW bei etwa drei Prozent der globalen Kapazität. Die genannten Projekte sind für sich privatwirtschaftlich nicht tragbar und werden daher in der ein oder anderen Form durch staatliche Gelder unterstützt. Im Folgenden wird daher der Frage nachgegangen, wie die genannten Länder besondere Spezifika, zumBeispiel bei der Energieplanung und Außenpolitik, aufweisen.

Folgt: Ökonometrische Analyse: Potenzielle Newcomer tendenziell durch geringe demokratische Freiheiten gekennzeichnet