Indien rückt an die Spitze

Schiefergas und -ölboom in den Vereinigten Staaten erfasst nun auch Exporte

Dank einer beachtlichen Fähigkeit, neue Vorkommen kosteneffizient zu erschließen, erreicht die Öl- und Gasförderung der Vereinigten Staaten in Summe ein um 50% höheres Niveau, als je zuvor von einem anderen Land erzielt wurde. Ende der 2020er Jahre werden die Vereinigten Staaten, die bereits jetzt Nettogasexporteur sind, auch Nettoexporteur von Öl sein. In unseren Projektionen steigt die Schieferölförderung der Vereinigten Staaten zwischen 2010 und 2025 um 8 Mio. Barrel pro Tag – in einem zusammenhängenden Zeitraum entspricht dies dem stärksten Zuwachs an Ölförderung, der je in der Geschichte der Ölmärkte von einem einzelnen Land erreicht wurde. Mit einem Anstieg der Schiefergasförderung um 630 Mrd. m3 in den 15 Jahren ab 2008 dürften die Vereinigten Staaten den bisherigen Rekord in der Gasförderung ebenfalls problemlos übertreffen. Ein Zuwachs dieser Größenordnung hat weitreichende Auswirkungen innerhalb Nordamerikas und begünstigt umfangreiche Investitionen in die Petrochemie sowie andere energieintensive Wirtschaftszweige. Zudem führt sie zu einer Veränderung internationaler Handelsströme, bedeutet aber ebenso eine Herausforderung für etablierte Anbieter und Geschäftsmodelle.

Mitte der 2020er Jahre werden die Vereinigten Staaten zum weltgrößten Exporteur von Flüssigerdgas (LNG) und wenige Jahre später auch zum Nettoölexporteur. Sie werden zwar weiterhin in großem Ausmaß schwerere Rohölsorten importieren, die der Konfiguration ihrer Raffinerien entsprechen, dabei aber in noch größerem Umfang leichte Rohölsorten und Raffinerieerzeugnisse exportieren. Diese Wende beruht keineswegs nur auf einer angebotsseitigen Entwicklung: Ohne kontinuierliche Verbesserungen ihrer Energieeffizienzstandards würden die Vereinigten Staaten Nettoölimporteur bleiben. In unseren Projektionen wird Nordamerika bei Einrechnung höherer Fördermengen aus Kanada und Mexiko zur wichtigsten Quelle zusätzlichen Rohöls auf den internationalen Märkten (das zusätzliche Rohölangebot aus dem Nahen Osten wird durch das dortige Wachstum der Raffineriekapazitäten und des Verbrauchs begrenzt). 2040 gehen etwa 70% des Weltölhandels nach Asien, da die asiatischen Rohölimporte um stattliche 9 Mio. Barrel pro Tag anschwellen. Angesichts der damit einhergehenden Verlagerung von Risikostrukturen muss die Frage der Ölversorgungssicherheit und ihrer Gewährleistung einer Neubeurteilung unterzogen werden.

[note Elektromobilität nimmt Fahrt auf, ein Nachruf auf den Verbrennungsmotor ist aber noch verfrüht – bis 2040 weltweit doppelt so viele Pkw: 2 Mrd.
In Bezug auf das weltweite Ölangebot machen die Vereinigten Staaten bis 2025 80% des Anstiegs aus und wirken kurzfristig weiterhin preissenkend, die Verbraucher rund um die Welt sind jedoch noch nicht bereit, sich vom Öl zu verabschieden. Im New Policies Szenarioo setzt sich das kräftige Verbrauchswachstum bis Mitte der 2020er Jahre fort, anschließend verlangsamt es sich aber deutlich, da der Kraftstoffverbrauch von Pkw aufgrund von Effizienzsteigerungen und Umstellung auf alternative Energieträger sinkt (obwohl sich die Anzahl der Pkw bis 2040 auf 2 Milliarden weltweit verdoppelt).
Die von anderen Sektoren ausgehende Dynamik reicht aus, um den Ölverbrauch bis 2040 weiter auf 105 Mio. Barrel pro Tag ansteigen zu lassen. Der Ölverbrauch der Petrochemie ist der größte Wachstumsfaktor, dicht gefolgt vom steigenden Verbrauch im Lastkraftwagenverkehr (80% des weltweiten Pkw-Umsatzes sind derzeit von Energieeffizienzvorschriften betroffen, aber nur 50% des Lkw-Umsatzes), in der Luftfahrt und der Schifffahrt.
Wenn der Anstieg der Schieferölförderung in der Vereinigten Staaten Ende der 2020er Jahre aufhört und die Förderung der Nicht-OPEC-Länder insgesamt zu sinken beginnt, wird der Markt zunehmend auf einen Ausgleich durch den Nahen Osten vertrauen müssen. Es besteht nach wie vor großer Investitionsbedarf, um bis 2040 insgesamt 670 Mrd. Barrel neuer Vorkommen zu erschließen – hauptsächlich, um den Förderrückgang der existierenden Ölfelder auszugleichen, weniger, um die steigende Nachfrage zu decken. Aufgrund der angespannten Lage auf den Angebots- und Dienstleistungsmärkten übt dies im New Policies Szenario anhaltenden Kosten- und Preisdruck aus und zwingt Unternehmen neue und komplexere Projekte zu initiieren.
Im Fall einer noch stärkeren Aufwärtsentwicklung für US-Schieferöl und einer rascheren Umstellung auf Elektroautos würden die Ölpreise länger auf niedrigem Niveau verharren. Diese Möglichkeit wird in einem Niedrig-Ölpreisszenario untersucht, in dem sich das Angebot der Vereinigten Staaten infolge einer Verdoppelung der geschätzten Schieferölvorkommen auf über 200 Mrd. Barrel erhöht und eine weiter reichende Digitalisierung den Kostenanstieg im Upstream-Bereich weltweit bremst. Größere Unterstützung durch die Politik und ein stärkerer Infrastrukturausbau begünstigen eine wesentlich raschere Durchsetzung der Elektromobilität, so dass sich die Anzahl der Elektroautos weltweit bis 2040 auf 900 Millionen erhöht.
Die vorteilhafte Annahme, dass es den wichtigsten erdölproduzierenden Weltregionen möglich ist, niedrigere Öleinnahmen zu kompensieren, reicht aus, um die Preise bis 2040 bei 40-60 Euro pro Barrel zu halten. Dieses Preisniveau genügt jedoch nicht, um eine deutliche Wende beim globalen Ölverbrauch auszulösen. Selbst im Fall einer raschen Umstellung der Pkw-Flotte wären drastischere Maßnahmen von Seiten der Politik in anderen Sektoren nötig, um den Anstieg des weltweiten Verbrauchs zu stoppen. In einem Umfeld niedrigerer Ölpreise haben die Verbraucher sonst wenig wirtschaftliche Anreize, auf andere Energieträger umzusteigen oder Öl effizienter einzusetzen. Bei einem voraussichtlich – zumindest auf kurze Sicht – weiterhin stabilen Verbrauchswachstum ist die Tatsache, dass die Investitionen in neue konventionelle Ölvorkommen 2017 das dritte Jahr in Folge auf niedrigem Niveau liegen, daher ein Warnsignal in Bezug auf das künftige Marktgleichgewicht. Damit entsteht ein erhebliches Risiko unzureichender neuer Angebotskapazitäten in den 2020er Jahren.]

Folgt: Flüssigerdgas führt zu einer Neuordnung der weltweiten Gasmärkte