DIW: Kernenergie weltweit Auslaufmodell

Atomkraft international: Ausbaupläne von Newcomer-Ländern vernachlässigbar

Eine im DIW Wochenbericht 11/2020 publizierte Analyse aktueller AKW-Rückbau- und Neubauprojekte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW-Berlin) offenbart weltweit einen rückläufigen Trend bei der Nutzung der Atomenergie. Einen Einstieg verzeichnet die Analyse lediglich in vier Ländern, dort aber mit finanziellen Schwierigkeiten und erheblichen Verzögerungen. Eine ökonometrische Analyse legt ferner nahe, dass Länder, die als potenzielle Neueinsteiger klassifiziert sind, ein tendenziell geringes Ausmaß an demokratischen Freiheiten haben. Vielmehr seien auf der Angebotsseite geopolitische Interessen der Atomkraft-Exportländer treibende Kraft. Fazit der DIW-Autoren Lars Sorge, Claudia Kemfert, Christian von Hirschhausen und Ben Wealer: „Deutschland sollte im Rahmen internationaler Organisationen darauf hinwirken, dass ein Neueinstieg in die Atomkraft nicht unterstützt wird“.

„Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung ist gering und aufgrund eines überalterten Kraftwerksparks stark rückläufig. Derzeit steigen nur vier Länder neu in die Atomkraft ein, und das mit erheblichen technischen Schwierigkeiten und großen Subventionen. Weitere potenzielle Neueinsteiger sind dabei oft Spielball geopolitischer Machtinteressen.“ Christian von Hirschhausen

Märchen der WNA

Atomkraft spielt in der globalen Primärenergieversorgung mit 4,4 Prozent eine geringe und weiter rückläufige Rolle. Der aktuelle Kraftwerkspark ist überaltert, ca. 200 Abschaltungen im kommenden Jahrzehnt stehen lediglich 46 Neubauprojekte gegenüber. Dennoch verbreitet die Atomwirtschaft, insbesondere die World Nuclear Association (WNA), das Narrativ eines großen Interesses vieler Länder an der Neu-Einführung von Atomkraft. Die Realität sieht anders aus.

Atomkraft 1 – Grafik © DIW-Berlin 2020

Die Entwicklung der Atomkraft war in den 50er- und 60er-Jahren mit großen Hoffnungen auf eine kostengünstige und saubere Stromerzeugung verbunden. Symptomatisch hierfür war die Ankündigung des Vorsitzenden der Atomic Energy Commission der USA, Lewis L. Strauss, 1954: „Our children will enjoy in their homes electrical energy too cheap to meter“1 Jedoch ist diese Erwartung bis heute nicht erfüllt worden: Vielmehr ist Atomkraft bis heute eine teure und – selbst bei Vernachlässigung von Kosten für Rückbau der Kraftwerke und Endlagerung der Abfälle – nicht wettbewerbsfähige Technologie2. Seit 1975 ist die Anzahl der Neubauten rückläufig, also bereits vor den ersten weltweit bekannt gewordenen Zwischenfällen in Three Mile Island (USA, 1979) beziehungsweise Tschernobyl (Ukrainische SSR, 1986) (Abbildung 1). Der Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung fiel von seinem Maximum von 17 Prozent im Jahr 1996 auf heute etwa zehn Prozent. Damit trägt Atomkraft lediglich 4,4 Prozent zur globalen Primärenergieversorgung bei3.

Aufgrund der rückläufigen Neubauten veraltet der globale Kraftwerkspark zunehmend. Im Juli 2019 betrug das Durchschnittsalter der weltweiten Flotte 30 Jahre und damit drei Viertel der üblicherweise angesetzten technischen Lebensdauer von etwa 40 Jahren (Abbildung 2)4. Unter der Annahme einer technischen Lebensdauer von 40 Jahren werden bis 2030 weitere 207 Reaktoren vom Netz genommen (Netzanschluss zwischen 1979 und 1990) und weitere 125 bis 20595. Darin eingeschlossen sind auch die 85 Reaktoren, die vor 1979 in Betrieb genommen wurden sowie weitere 28 Reaktoren im sogenannten Langzeitausfall (long-term outage). Dies sind Reaktoren, die seit über einem Jahr keinen Strom mehr produziert haben.

Folgt: Von einer Renaissance der Atomkraft kann keine Rede sein