Kopernikus hat schon viel erreicht

377,5 TWh Erneuerbare Energien wurden 2015 verbraucht – BMBF-Zukunftkongress „Energieoffensive 2030“

Das Bundesforschungsministerium ging auf großer Bühne in die „Energieoffensive 2030“: Im Rahmen des „Zukunftskongresses Energieoffensive 2030“ am 22. und 23.05. 2017 in der Berliner Telekom-Repräsentanz berichteten den 400 Besuchern unter anderem die vier großen Kopernikus-Projekte über ihre Forschungs- und Entwicklungspläne und diskutierten untereinander und mit dem Publikum über weitere Möglichkeiten der Sektorkopplung und Systemintegration. Die Kopernikus-Projekte sind Teil der größten Forschungsinitiative zur Energiewende.

Eine Terawattstunde („tera“ – von griechisch: „ungeheuer“) sind eine Milliarde Kilowattstunden. Wind, Sonne, Biomasse decken fast 15 Prozent unseres Bruttoendenergieverbrauchs – insgesamt 377,5 TWh. Beim Stromverbrauch stammt fast jede dritte verbrauchte Kilowattstunde aus Erneuerbaren Energiequellen – 2015 insgesamt 187,3 TWh. Genug, um die Stadt Hamburg 15 Jahre lang mit Strom zu versorgen.

„Wir müssen ernst machen mit der Energiewende“, betonte Staatssekretär Georg Schütte in seiner Keynote am Dienstag zur Eröffnung. Denn die Energiewende betreffe uns alle. Die Klimaschutzziele von Paris würden den Referenzrahmen vorgeben, der einen fundamentalen Umbau des Energiesystems nötig mache. Und er fügte hinzu: „Die Energiewende muss internationaler gedacht werden.“

Die Energiewende birgt große Herausforderungen:

  • auch im Wärme- und Verkehrssektor müssen die Erneuerbaren Fuß fassen,
  • energieintensive Produktionsanlagen etwa in der Stahl- oder der Chemiebranche müssen an das schwankende Energieangebot der Erneuerbaren angepasst werden –
  • schließlich die Speicherung und Übertragung großer Mengen an Energie.

Wie das gelingen könnte – darauf sollen die vier auf zehn Jahre angelegten Kopernikus-Projekte des BMBF Antworten geben:  Mit mehr als 260 Partnern sollen sie Lösungen oder Entscheidungsoptionen in den Bereichen Neue Netzstrukturen (ENSURE), energieflexible Industrieprozesse (SynEergie), Power-to-X (P2X) und Systemintegration (ENavi) in klima- und industrierelevantem Maßstab erarbeiten.

Das komplexe System – wer versteht es wirklich?

Prof. Robert Schlögl, Direktor am Fritz-Haber-Institut und am MPI für Chemische Energiekonversion, führte in die Thematik ein: Man müsse die Energieversorgung als ein System begreifen, aber manchmal sind die einfachsten Fragen die schwierigsten, so auch Schlögls Eingangsfrage: „Was ist eigentlich ein System?“ Kaum jemand verstehe jedenfalls das Energieversorgungssystem in seiner gesamten Komplexität. Daher sei „das mit der Energiewende so schwierig“ – aber: „Energiewende ist schön“ – „wir gestalten etwas Tolles für die Zukunft“. Dennoch: Die sogenannte Sektorenkopplung gestalte sich in der Umsetzung noch problematisch. So manches Schlagwort sei nicht treffend, wie vor allem die Dekarboniserung – „wir bestehen doch selbst zu einem gut Teil aus Kohlenstoff“. Es gehe um Verringerung des CO2-Ausstoßes, um Energieeinsparungen, um Effizienz – aber in Bezug worauf? Ein Vergleich mit dem Ölpreis wäre zum Beispiel falsch. Das führte zum alten Kontrapunkt zwischen Ökologie und Ökonomie. „Aber die Wirtschaft muss am Ende die Energiewenden umsetzen, daher ist der Widerspruch nicht hilfreich. Die Wirtschaft braucht aber ihrerseits harte, dafür planbare, verlässliche Rahmenbedingungen.“

Auch innerhalb der Wissenschaft gebe es Grenzen, die noch nicht völlig überwunden seien. Die Chemie sei wesentlich für die Energieumwandlung: „Stoffliche Materialien können wir ganz gut in Strom umwandeln – aber umgekehrt, von Strom zu Stoff, geht es noch nicht so gut. Eine der offenen Fragen, die zum Beispiel Schlögls MPI in Mülheim an der Ruhr behandeln soll. Kopernikus sei der Versuch, in allen Bereichen zu forschen, fächerübergreifend, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einschließend – aber die Ergebnisse müssten sich am Markt durchsetzen. Daher sei gesellschaftliche Partizipation ganz wichtig. Im Wechselspiel zwischen Industrie und Forschung müssten die Player von Anfang an kommunizieren, kooperieren – ein Dreiklang: „Die Wissenschaft weiß alle Lösungen; die Industrie verdient Geld damit, und die NGOs sagen, was sie wollen, und was nicht.“

Neu an Kopernikus sei die jetzt begonnene Praxis – es gebe keine klare Zielstellung – sondern einen Problemkorridor, in dem erst eine Fragestellung gefunden werden solle. Dazu wurde die Leitung mittels Kollegien organisiert. Das geht nicht schnell, tief bohren und breit diskutieren erfordert Zeit. Welche Lösung soll es geben? „Keine technologische, sondern eine in die Energiewende eingebettete; das ist das, was wir eigentlich erwarten – ob die Gesellschaft sie akzeptiert, können wir bei der Volatilität von Meinungen im öffentlichen Raum heute nicht wissen“. Schön wäre es laut Schlögl, wenn Politik ebenfalls so systemisch orientiert wäre. Dann warnt Schlögl vor: Der Finanzierungsbedarf werde wohl größer werden, als zunächst angenommen. Die Industrie sei zunächst gefordert, denn die Wirtschaft laufe ja gut – ob aber „die beiden Ministerien“ zusammenarbeiten würden? (RS nannte zwar geschickt keines mit Namen, meinte aber BMBF und BMWi). Denn regulatorische Hürden „können wir als Wissenschaft nicht beseitigen; ein systemischer Schulterschluss muss her, alle Beteiligten müssen zusammenarbeiten. Dabei ist die Auswahl der Optionen Aufgabe der Gesellschaft, die Bereitstellung von Optionen dagegen Aufgabe der Wissenschaft.“

folgt: Erstes Projekt ENSURE – oder: Wie das Stromnetz für unregelmäßige Versorgung fit machen?