Sprung in der Muschel

Enthüllung: Shell vertuschte seit 1958 Klimarisiko

Den Chefs des Ölriesen Royal Dutch Shell waren die Klimarisiken fossiler Brennstoffe seit 60 Jahren bekannt. Schon in den 80er Jahren bezifferte das Unternehmen intern seinen Anteil an den globalen CO2-Emissionen auf 4 %. Während Shell schon ab 1989 seine Ölbohrinseln auf den Anstieg des Meeresspiegels vorzubereiten begann, unterstützte das Unternehmen die Klimawandel-Leugnung. Der CIEL-Bericht (Center for International Environmental Law), den die Heinrich Böll Stiftung am 25.04.2018 veröffentlichte, zeichnet diese Unternehmenspraktiken seit Ende der 50er Jahre nach.

– Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Die wichtigsten Erkenntnisse

Viele bisher unbekannte Shell-Dokumente, die von Jelmer Mommers von De Correspondent ausgegraben und von Climate Files veröffentlicht wurden, werfen ein neues Licht auf den Kontrast zwischen Shells internen Erkenntnissen und seinen öffentlichen Aktivitäten zur Zeit der beginnenden Diskussion über den Klimawandel.  Während sich Shell in immer mehr Ländern Klimaprozessen und Untersuchungen gegenüber sieht, beweisen diese Dokumente, dass Shell frühzeitig, wiederholt und oft dringend auf die mit seinen Produkten verbundenen Klimarisiken hingewiesen worden ist –   was der Konzern als Konsequenz daraus gezogen hat, stand in krassem Gegensatz dazu.

Die Fakten

  • Der Shell-Wissenschftler Charles A. Jones verfasste schon 1958 einen Bericht unter dem Titel: „A Review of the Air Pollution Research Program of the Smoke and Fumes Committee*) of the American Petroleum Institute“, der auf die Notwendigkeit der Erforschung fossilen Kohlenstoffs in der Atmosphäre hinwies.
    *) siehe: smokeandfumes.org
  • 1962 erkannte der Shell-Chefgeologe M.King Hubbert (auf ihn geht der Begriff „Peak Oil“ zurück) mögliche Risiken der globalen Erwärmung für Mensch und Umwelt an und unterstützte die Forderungen anderer Wissenschaftler, verstärkt Solarenergie zu nutzen – sein Bericht: „Energy Resources: A Report to the Committee on Natural Resources of the National Academy of Sciences-National Research Council“ 
  • „Es gibt Hinweise darauf, dass der stark zunehmende Einsatz fossiler Brennstoffe, deren Stoffgehalte nach der Verbrennung hauptsächlich H2O sind und CO2 die Erdatmosphäre ernsthaft mit CO2 belastet, darauf hindeutet, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre seit 1900 um 10 Prozent gestiegen ist. Da CO2 langwellige Strahlung absorbiert, ist es möglich, dass dies bereits zu einer langfristigen Klimaänderung in Richtung höherer Durchschnittstemperaturen führt. Dies könnte tiefgreifende Auswirkungen sowohl auf das Wetter als auch auf die Ökobilanzen haben. Angesichts der Gefahren der Luftverschmutzung sowohl durch die Abgase der fossilen Brennstoffe als auch durch die radioaktiven Verunreinigungen aus Kernkraftwerken fordert Professor Hutchinson ernsthaft, die maximale Nutzung der Sonnenenergie in Betracht zu ziehen.“
  • In einem vertraulichen Bericht von 1988 heißt es, Shell habe 1984 ganze 4 % der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. In der Folge kommen auf Shell sich verschärfenden Rechtsstreitigkeiten zu.
  • 1989 unternahm Shell die ersten Schritte, um seine eigenen Offshore-Ölplattformen vor den Risiken des Meeresspiegel-Anstiegs zu schützen: „Obwohl der Bericht darauf hinwies, dass angesichts des langsamen Meeresspiegel-Anstiegs keine sofortigen Standortverlagerungen erforderlich seien, kündigte Shell an, eine Erdgasplattform um einen oder zwei Meter anzuheben, um dem künftigen Anstieg vorzubeugen. Unterdessen ist das offensichtliche Versäumnis von Shell, die Auswirkungen des Klimawandels bei der Ansiedlung gefährlicher Anlagen in tief gelegenen Küstengebieten zu berücksichtigen, Gegenstand laufender Rechtsstreitigkeiten„.
  • Gleichzeitig schloss sich er Ölmulti den zahlreichen Bemühungen der Branche an, in der Öffentlichkeit Zweifel am Klimawandel zu schüren.
  • In einem 28minütigen Film von 1991 (Titel: „Climate of Concern“) erkannte Shell Ausmaß und Umfang potenzieller Klimaschäden für menschliche Gesundheit, Ökosysteme und Umwelt an und warnte vor möglichen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und vor dem bevorstehenden Anstieg der Klimamigration.
  • Trotz dieser Warnungen und entgegen seinem Image in der Öffentlichkeit ist Shell weiterhin aktiv in einer Reihe von Branchenverbänden und Interessenvertretungen, die eine jahrzehntelange Kampagne zur Leugnung des Klimawandels und Behinderung des Klimaschutzes betrieben haben und weiterhin betreiben.
  • Zudem drängt Shell mehr als sechs Jahrzehnte nach Bekanntwerden der Klimarisiken seiner Produkte weiterhin aggressiv auf die Erschließung neuer Öl- und Gashorizonte – auch in der schnell abschmelzenden Arktis.
  • Das neue Sky Scenario von Shell ist Inbegriff dieser Widersprüchlichkeit: Das Modell von Shell enthält eine Vision, wie die Ziele von Paris erreicht werden können, gleichzeitig räumt das Unternehmen ein, dass es nicht die Absicht hat, diese Vision zu verwirklichen (siehe 2degreeseparation.com).

[note Shell veröffentlichte am 12.04.2018 in den Niederlanden und in England den Shell Energy Transition Report und verpflichtete sich, die Emissionen bis 2050 um 50% zu senken und bis 2070 netto Null anzusteuern. Biotreibstoffe spielen dabei eine wichtige Rolle. (Solarify reagierte leicht skeptisch). In seiner Analyse stellt Shell fest, dass sich der globale Energiebedarf bis 2070 verdoppeln werde und dass außerordentliche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um trotzdem die im Pariser Abkommen festgelegten strikten CO2-Reduktionsziele zu erreichen. Shell bekräftigte seine Unterstützung von COP21, wobei einige außerordentliche Konsequenzen für die notwendige Umgestaltung der Energieversorgung nötig seien, einschließlich der Lieferung von Biokraftstoffen, die im sogenannten „Sky“-Szenario des Unternehmens bis 2100 über dem Erdöl liegen werde.]

  • Die neuen Enthüllungen bergen nicht nur Risiken für Shell selbst, sondern auch für andere Ölkonzerne, deren Rolle in der Klimakrise bisher nur relativ wenig Beachtung gefunden hat.
  • Die Ergebnisse zeigen, dass diese Untersuchungen zwar mit ExxonMobil begonnen haben*), aber höchstwahrscheinlich nicht mit Shell enden werden.

*)Laut „Exxon knew“ (deutsch: „Exxon wusste es“) war der US-Erdölkonzern Exxon seit Jahren über die gefährliche Klimaveränderung der Verbrennung fossiler Energieträger unterrichtet und vertuschte Kenntnisse und Schlussfolgerungen (siehe: solarify.eu/vertuschte-exxon-klimaforschungsergebnisse). Statt alternative Energieträger zu fördern oder öffentlich zu informieren, baute Exxon die Erdölförderung massiv aus – und finanzierte Desinformations-Kampagnen, die gezielt (und professionell) Zweifel an den Erkenntnissen der Klimaforschung säten, wie unter anderem die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes belegte (siehe auch: solarify.eu/netzwerk-der-leugner).

->Quelle und weitere Informationen: