Photovoltaik: Vom Hoffnungsträger zum Sündenbock

Kernenergiedebatte 2008/2009 war kein Zufall

Im Zuge weiterer Recherchen stieß ich auf zwei Originaldokumente von Kommunikationsagenturen, die der taz und Greenpeace von einem Whistleblower zugespielt worden waren. Es handelte sich um ein Papier der Agentur Deekeling Arndt Advisors (DAA) im Auftrag des Atomforums, sowie um ein Konzept der Kommunikationsagentur PRGS. Das Konzept von PRGS war ein Akquisepapier für E.on. Die Inhalte beider Konzepte sind lehrreicher als manches Politik-Fachbuch.

Die 2008/2009 plötzlich aufgetretene, merkwürdig erscheinende flächendeckende Debatte in den Medien „Kernenergie für Klimaschutz – alternativlose Brückentechnologie für das Erneuerbare Energien Zeitalter“ war offensichtlich kein Zufall. Das genannte Ziel in den Unterlagen war unmissverständlich: „Bis zur Bundestagswahl 2009 Grundstimmung pro Laufzeitverlängerung herstellen“, bzw. „die politische-öffentliche Debatte um die Verlängerung der Restlaufzeiten deutscher Kernkraftwerke positiv beeinflussen”.

Die Handlungsempfehlungen, die aus beiden Dokumenten einen Einblick in moderne PR geben, sind beeindruckend und gleichzeitig erschreckend.

Das Grundprinzip ist permanente Medienarbeit in Form von „verdeckter PR“ oder „leiser PR“ und Vortäuschen vermeintlicher Neutralität mittels einer Vielzahl von Studien, Experten und Veranstaltungen. Der wichtigste Satz dazu steht im PRGS-Papier auf Seite 93: „Politiker bevorzugen wie Journalisten quellenbasiertes Informationsmaterial, das die Neutralität der Information suggeriert.”

Empfohlene Methoden der professionellen strategischen Kommunikation entlang einer Zeitachse sind:

  • Kernbotschaften und Argumentationsketten werden unter dem gezielten Einsatz von plakativen Begrifflichkeiten entwickelt und dauerhaft verwendet. So entstand das Wort „Brückentechnologie“.
  • Ausgewählte Journalisten und Medien werden kontinuierlich mit „bestellten Wahrheiten“ versorgt mittels (wissenschaftlicher) Studien, Meinungsumfragen, Statistiken, sowie von PR-Agenturen geschriebenen Texten, Interviews und Meinungsbeiträgen.
  • Ausgesuchte Politiker erhalten vorgegebene Argumentationslinien.
  • Kooperation mit Veranstaltungsformaten die für eine Kampagne pro Kernkraft genutzt werden können (Symposien, Tagungen, Foren).
  • Medien-Kritiker werden mit allen denkbaren Methoden des „negative campaignings“ überzogen, diffamiert und disqualifiziert.
  • Blogs, Webseiten und andere Social-Media-Plattformen werden gezielt instrumentalisiert und manipuliert.

Wenn man die Berichte der letzten Jahre über Photovoltaik oder EEG verfolgt, fallen Parallelen auf: Fast wöchentlich beklagten neue Experten die Kostenexplosion der EEG-Umlage durch „ausufernde Subventionen“ und forderten aufgrund dessen eine Reform oder auch komplette Abschaffung des EEG – gleichzeitig wird die fatale Auswirkung der Ausgleichsmechanismusverordnung strikt ignoriert. Interessanterweise tauchen umso mehr Experten und Stimmen auf und wird die Schlagzeilenflut umso dichter, je näher der Termin einer Lesung in Bundestag oder Bundesrat rückt. Mit stets gleichlautenden Begrifflichkeiten und Argumentationslinien.

Sicherlich gibt es keine handfesten Beweise. Leider hat mir noch kein Whistleblower aus einer Public-Affairs-Agentur, aus inneren Skrupeln heraus ein Anti PV/EEG-Strategie-Kommunikationspapier zugespielt.

Einer Naturwissenschaftlerin stellt sich jedoch schlicht die Frage nach Wahrscheinlichkeiten. Belegt ist, dass solche Methoden praktizierte Realität sind. Die PR/Public-Affairs-Branche boomt nicht ohne Grund. Belegt ist auch, dass es für die Laufzeitverlängerung solche Papiere gab. Punkt für Punkt aufgeschlüsselt nach Kommunikationsinstrument, Methodik, Kosten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die konventionelle Energiewirtschaft zur Durchsetzung eigener Interessen und Abwehr dezentraler Konkurrenz weiterhin von Kommunikationsberatern beraten lässt? Und dabei auf Handlungsempfehlungen zurückgreift, die bereits bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung zum Thema Atomenergie so hervorragend geklappt haben?

Wie wahrscheinlich ist es hingegen, dass im Rahmen professioneller Unternehmenskommunikation großer Energieunternehmen ausgerechnet das Thema „Abwehr der PV, bzw. dezentraler Erneuerbaren Energieformen, sowie ein Beenden des EEG“ ausgeklammert wird?

Der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann sagte bereits bei seiner Bilanzpressekonferenz im März 2012, dass die Photovoltaik das bisherige Geschäftsmodell der konventionellen Kraftwerke durch den eingespeisten Strom zur Mittagszeit gefährde. Unbestreitbar ist zudem, dass das EEG durch die Stromwirtschaft von Anbeginn mit allen Mitteln bekämpft wurde. Nicht nur gegen das EEG wurde juristisch vorgegangen, bereits in den 90ern wurde gegen den Vorläufer des EEG, das Stromeinspeisegesetz, geklagt. Jeder möge sich selbst die Fragen nach den Wahrscheinlichkeiten beantworten.

Ende 2010 recherchierte ich zu meinem Blogartikel „Journalismus und das EEG“ und veröffentlichte diesen Anfang 2011: Darin führte ich erstmalig die Auswirkungen der Ausgleichsmechanismusverordnung aus und untersuchte die Rolle der Presse dazu. Anhand vieler Links und Originalbelege analysierte und widerlegte ich Schlagzeile für Schlagzeile der vergangenen gleichförmigen Zeitungsberichte. Gleichzeitig thematisierte ich zum ersten Mal das sogenannte „Agenda Setting“. Das gezielte Setzen von Themen und Schlagzeilen durch Lobbygruppen, bei dem, wie Claudia Kemfert es in ihrem Buch „Kampf um Strom“ formuliert, das Geld darüber bestimmt, wer am Ende gehört wird.